Videoschaffen in Frankreich. Von Dominik Barbier
Videoschaffen in Frankreich. Von Dominik Barbier
Die Marquise von Sarajevo
Jetzt, in der Stunde, in der man bosnische Mädchen nach gemeinschaftlichem Gebrauch in Hochöfen wirft und in der vorherzusehen ist, daß die Hälfte der Bevölkerung Afrikas AIDS nicht überleben wird,,. - fragt sich, wie es um die Produktion von "vidéo création" in Frankreich steht. Jetzt, da Produktionsfirmen in Agonie daniederliegen, da manche ihre Kräfte beim Warten auf Bewilligung ihrer Projekte aufbrauchen oder sich in mystischen Krebsgeschwüren verzehren, da als im öffentlichen Interesse liegend anerkannte Künstler wie armselige moderne Giottos den Himmel im Auftrag von Autobahnverkäufern blau anmalen... - fragt sich, wie es um die Produktionsbedingungen in Frankreich steht. Nun...alles bestens, Marquise:
Viele, wirklich viele Leute In Frankreich machen Videos: Die Filmemacher, die Regisseure, die bildenden Künstler, die Opernregisseure, die Choreographen, die Musiker, die Kunststudenten, die Nord- und Südamerikaner... Es gibt eine große Vielseitigkeit der Projekte, was die verwendeten Techniken und behandelten Themen angeht, denn "Video" ist ein etwas feiges Konzept, das sich genauso über die Felder der zeitgenössischen Kunst wie auf dem sorgfältig gemähten Rasen des Fernsehens fortbewegt: So ist die Videoproduktion in Frankreich und anderen Orts, von der "kreativen Dokumentation" bis zur interaktiven elektronischen Skulptur, von der virtuellen Installation aus synthetischen Bildern bis zum heimischen Schnittplatz. Wer also macht in Frankreich Videos? Aber jeder, Marquise von Sarajevo: Künstler, Studenten, Kunsthochschulen, Kulturzentren und regionale Gerätezentren, Fes-ti- vals, Museen, Video- Kreationszentren, das Kultusministerium und seine vielen Unterabteilungen (D.A.P., C.N.A.P., C.N.C., Ar- canal, D.R.A.C.), andere Ministerien, Regionen und Gemeinden, allerlei Vereinigungen, etc - manchmal selbst Produktionsfirmen oder, ein seltener Fall, Fernsehstationen. Für "vidéo création" gibt es keinen Markt: Das Fernsehen (auch wenn es nicht immer so war) und der Kunstmarkt (selbst wenn es nicht immer so sein wird) haben eine lächerlich geringe Wirkung für die Finanzierung schöpferischer Videos im Allgemeinen. "Vidéo création" wird in Frankreich direkt durch staat-liche Subventionen finanziert, entweder direkt durch die Minis-terien und ihre nachgeordne-ten Einrichtungen, oder mittel-bar durch einige mehr oder weni ger unabhängige Einrichtungen. Um heute in diesem Land Videos zu machen, gibt es ein Labyrinth von Möglichkeiten: Förderungsanträge für nationale, regionale oder städtische Subventionen stellen, sich Zugang zu "Centres de création" für Video, zu Kulturzentren und regionalen Gerätefonds verschaffen, Anträge auf Koproduktion oder Ankaufszusagen an Fernsehstationen wie ARTE oder Canal+ stellen (sinnlos, aber dennoch unerläßlich - um des Prinzips willen), vorsichtiges Anklopfen beim Dinosaurier INA und unabhängigen Produktionsfirmen (aber vorher überprüfen, ob es sie noch gibt), kostenlosen Zugang zu kleinen und großen professionellen Studios anstreben, ausdauern-des systematisches Abschreiten von Bankfoyers und Ministeriumseingängen (belegte Brote nicht vergessen), Studium oder Unterricht an Kunsthochschulen, Suche nach Mäzenen, Anfixen eines naiven Kinoproduzenten (man hört von letzten Exemplaren tief in der Bretagne), Investitionen in immer billiger werdende Amateuraus-rüstungen, Teiizeitarbeit bei MacDonald's um das nötige Geld aufzuhäufen...
Subventionen
Die Videoproduktion wird in Frankreich weiträumig durch den Staat gefördert (Einzel-hei- ten dazu S.132 ff).
Centres de Création (Künstlerische Produktionszentren) Ausserdem gibt es sechs "Centres de Création", die Künstlern den Zugang zu technischen Ausrüstungen ermöglichen, technische Unterstützung bieten und spezielle Serviceleistungen zur Verfügung stellen können.
Kulturzentren & Centres de Ressources (regionale Geräte-pools)
Mit Beginn der achtziger Jahre wurden die "Maisons de la Culture (Kulturhäuser) und Centre d'Action Culturelle (Kulturelle Aktionszentren) der Regionen die entscheidenden Orte der Produktion von "vidéo création". Heute verfügen einige Centres de Ressources über professionelle (BETA SP) Geräte, die für die Ausbildung und Koproduktion von Projekten verwendet werden.
Grosse Studios und In dustrie Es gibt unzählige große, mittlere, und kleine professionelle Videostudios, Oft schaffen es Künstler, sie zu Koproduktionen zu bewegen oder direkten Zugang zu Ihren Geräten zu bekommen: Die großen Studios MIKROS, U.M.T., DURAN und SOFT haben eine große Zahl von "vidéos création" mitproduziert. Allerdings scheint es kaum eine Beziehung zwischen Industrie und "vidéo création" zu geben, Das Unternehmen als Mäzen, ein fester Bestandteil der allgemeinen Kunstszene, ist im Videobereich kaum bekannt. Mögllcherweise führen die Videoskulpturen zu einer Änderung...
Unabhängige P ro d u ze n ten Die Aktivitäten von Produktionszentren wie dem C.I.C.V. In Montbeliard, Fearless, und Einrichtungen in Abhängigkeit vom Kultusministerium (wie AR- CANAL) haben große Bedeutung - ebenso wie die Arbeit von kleineren Initiativen, die hier nicht alle aufgeführt werden können.
Schlußfolgerung
Netzwerke und Koproduktionen Sehr häufig ziehen Werke Vorteile aus dem Kontext des sehr dynamischen Produktionsnetzwerkes. Viele sind Koproduktionen einer Agentur des Kultusministeriums, einem unabhängigen Produzenten, einem Kunstzentrum und verschiedenen Partnern...
Das französische Fernsehen sendet "vidéo création" nur sehr selten, ein Grund, weshalb Video noch eine Chance hat, Kunst zu bleiben. Fernsehen und "création", künstlerisches Schaffen, passen nicht zueinander, und es bleibt zu hoffen, daß nur einige wenige Sendungen, mit einer zu geringen Nachfrage, um einen - zwangsläufig schädlichen - Einfluß auf die Produktion auszuüben, existieren werden. UFO Senkungen also, Ghettosendungen, In einem Wort (Video) Kunst-sen- dungen. Als abhängiges Anhängsel des Fernsehens wäre "vidéo création" bedroht, als selbstre-gulle- rendes kommerzielles Produkt dahin zu vegetieren, für bestimmte Sendeplätze kalibriert.
Also ist es an den staatlichen Subventionen, elektronische Kunst zu finanzieren (wie überhaupt alle Kunstformen). Die Situation Ist nicht neu (denn die Künstler haben immer In den Höfen der Prinzen und Prälaten gearbeitet) und Kunst und Kultur werden immer von Finanzquellen abhängen: Abgesehen von staatlichen Aufträgen - die Domäne der Prinzen - oder großer Institutionen wie dem Centre Pompidou, spielte sich die Finanzierung von “vidéo création" immer unter Umge-hung der Fallstricke einer zu starken Zentralisierung ab; eine große Zahl von Strukturen, Persönlichkeiten, die zu originellen Aktionen fähig waren, lösten sich in dieser Aufgabe ab. So es eine echte Dynamik von Video in Frankreich gibt, liegt sie hier, besteht aus dem vernetzten Flandeln und den Interaktionen einer Unzahl von Künstlern, Produzenten, der “création" zugewandten Ateliers, kleinen und großen Studios, Vertriebsver-eini- gungen, Festivals, Galerien, Kunstschulen, etc. - alle mit unterschiedlichen Mitteln, eigenen Funktionsweisen und eigenen Zielen. Alle diese Projekte - fast alle - sind auf der Leidenschaft, der Energie und einer enormen Arbeit gebaut, die zu oft den Mangel an Mitteln ausgleichen muß. Nichts ist endgültig gewonnen, und diese Dynamik ist zerbrechlich: In der Periode 91 /92 hat die Kraft einiger Flauptakteure der Videoszene nachgelassen, manche sind ganz verschwunden. Das künstlerische Schaffen ist nur vom Staat zu finanzieren. So wird durch die Fülle an individueller kreativer Energie in den Strukturen für Produktion und Verbreitung von "vidéo création" die Erforschung der vielfältigen Welt elektronischer Kunst weitergeführt.