Affective Infrastructures
Affective Infrastructures
Sollen wir an eine Infrastruktur denken, so fällt uns womöglich das Beispiel einer Brücke, eines Krankenhausgebäudes oder eines Systems aus Seekabeln ein. Infrastruktur ist ein weiter Begriff, mit dem viele verschiedene Dinge gemeint sein können. Trotz ihrer Unterschiede haben Infrastrukturen bestimmte Elemente gemein: Sie verbinden, können Teile jedoch auch separieren; sie ermöglichen, können die Bewegung von Gütern, Menschen oder Informationen jedoch auch behindern. Zugang zu ihnen zu haben, bestimmt die Gegenwart und prägt verschiedene Zukünfte. Infrastrukturen sind üblicherweise mit Macht, Souveränität und Privilegien verbunden. Sie erinnern jedoch auch an die Notwendigkeit von alternativen Architekturen der Assoziation und des Widerstands. Diese führt Lauren Berlant als „affektive Infrastrukturen“ ein, die Vielheit und Unterschiedlichkeit zulassen und es uns ermöglichen, miteinander zu sein und uns jenseits von Souveränitätsbeziehungen zu bewegen.1 Die transmediale 2019 las Berlants Position als Einladung, sich solche Protokolle und Assoziationen vorzustellen, sie zu stärken und – für Berlant am wichtigsten – sie zu wollen; und initiierte den Study Circle Affective Infrastructures. Acht Menschen aus Kunst, Wissenschaft und Aktivismus wurden eingeladen, sich vor und während des Festivals der Themen und Fragestellungen rund um affektive Infrastrukturen anzunehmen.
Die vorliegende Ausgabe des Journals der transmediale möchte auf einige der diskutierten Themen zurückkommen, einige Beispiele und Konzepte erörtern und Raum für weitere Überlegungen bieten. Die Autor*innen der verschiedenen Beiträge – von Essays über Klangbeiträge und kollektive Berichte bis zu Reflexionen – beziehen sich auf Infrastrukturen unterschiedlicher Arten, Formen und Maße und kommentieren deren affektive Beschaffenheit.
Objekte, Gefühle, Technologien und Praktiken, die als affektive Infrastrukturen verstanden werden können, werden in der Online-Konversation besprochen, die zwischen allen Mitgliedern des Study Circles vor dem Festival stattfand und für das Journal von Maya Indira Ganesh und Femke Snelting moderiert und redigiert wurde.
Pedro Oliveira greift einen der Fäden dieses Gesprächs auf, wenn er in seinem Artikel die Beziehungen zwischen Objekten und Körpern, zwischen Infrastrukturen und Nutzenden verhandelt. Er untersucht anhand des Telefons, wie sie ein Teil von uns werden und den Verlauf unserer Leben bestimmen können. Oliveira nimmt das Telefon als Ausgangspunkt, um darzulegen, wie das Bild eines Telefons in einer sicheren Umgebung wie einem Zuhause zu einem zur Dialekterkennung bemächtigten Gerät im Kontext eines aufenthaltsrechtlichen Verfahrens werden kann. Er erklärt, wie das Triviale und Vertraute zur Waffe gemacht werden kann, die gegenwärtige Grenzinfrastrukturen stützt.
Auch Lou Cornum erkundet die Reproduktion ungleicher und grenzenreicher Welten. Cornum argumentiert, dass der Diskurs der Dekolonisierung nur wenig zu bieten hat, wenn die Bündnisse von Menschen in diesen Kämpfen nicht anerkannt und gestärkt werden. Indigene Böden – oder, mit Cornum, indigene Praktiken – müssen als Grundlage von Beziehungen verstanden werden, die Unterstützung bieten sowie den Teilungen und imperialen Grenzziehungen entgegenwirken. Diese affektiven Infrastrukturen finden sich auf der entgegengesetzten Seite der gewaltvollen Infrastrukturen der Vertreibung und Enteignung.
Das menschliche Verhältnis zu Land, Boden und Erdkörper bespricht auch Jara Rocha. Ihr Essay behandelt das Bedürfnis von Menschen, den Erdkörper zu studieren, zu visualisieren und darzustellen, im Verhältnis zu den Formen des Technikkolonialismus, die in Software und Maschinen vorkommen. Ihr Beitrag hat die Form eines Fehlerberichts über die Berechnung der Tiefen und Dichten der Erde. Ein Teil des Essays beruht auf kollektivem Untersuchen und Schreiben während des Workshops Possible Bodies bei der transmediale 2019. Quelloffene Werkzeuge des Geo-Modelling wurden hier als Infrastrukturen verhandelt, durch die wir einen vielfältigeren Wissenskörper formen könnten, der dem Universalismus entflieht.
Nicht den Erdkörper, sondern den Gesellschaftskörper und individuellen Körper erkundet Marija Bozinovska Jones dahingehend, wie sie von Algorithmen und Optimierungssystemen beeinflusst werden. Sie bezieht sich auf die Faszien, das Netz des Bindegewebes, das einen Körper zusammenhält, und nimmt so die Verknüpfungen zwischen gesellschaftlichen, computertechnologischen und neuralen Architekturen in den Blick. In ihrem Projekt, das beim Festival vorgestellt und zudem online erlebbar gemacht wurde, verbindet sie affektive Oberflächen mit Verhaltensökonomie. Als Beispiel dient die Nutzung und Auswirkung von intelligenten persönlichen Assistenzgeräten.
Die aufkommenden neuen Formen der emotionalen Künstlichen Intelligenz – sei es in der digitalen Assistenz, humanoiden Robotik oder Chatbots – werden auch von Maya Indira Ganesh untersucht. Sie erklärt, inwiefern diese Technologien auf wachsenden Datensätzen von menschlichen Affekten beruhen und wie sie unsere Beziehungen zueinander beeinflussen. Zudem schenkt Ganesh der Rolle der #metoo-Listen besondere Aufmerksamkeit, die sie als „Affekt-Daten“ bespricht, durch die dringend benötigte affektive Infrastrukturen zur Organisierung und Unterstützungsarbeit gegen sexuelle Belästigung aufgebaut werden konnten. Für Ganesh ist wichtig anzuerkennen, dass wir auch von flüchtigen Verbindungen zusammengehalten werden können, die auf der subtilen Verwebung von Erfahrungen, Bewegungen und Beziehungen beruht: Es können Verbindungen sein, die nur spürbar, aber nicht sichtbar sind.
Wie können solche Infrastrukturen gestärkt werden? Was kann dazu beitragen, die Architekturen souveräner Technologien zu überwinden und stattdessen alternative zu errichten, die diverse Wirklichkeiten und Bedürfnisse unterstützen? Femke Snelting betont, wie wichtig Formen und Beziehungsgeometrien für uns sind. Nicht die Architekturen souveräner Netzwerke, die Normalisierung und Homogenität verstärken, sondern vielmehr andere, andersartige Geometrien der Beziehung. Sie müssen – mit Glissant – eher als archipelisch verstanden werden: angetrieben von einem kollektiven Wunsch nach stabilen und sicheren Formen, die gleichermaßen Vielfalt und Vielheit sowie Bewegung und Veränderung erlauben. Wie Berlant in ihrem Essay anmerkt, bedeutet das Streben nach Nichtsouveränität nicht, Zugehörigkeit zu verneinen, sondern darüber hinauszugehen: „nah zu sein, ohne zusammengefügt zu werden, ohne den Leib der Anderen mit dem eigenen zu verwechseln“.2 Es geht darum, zu lernen, empfänglich zu sein und in den Umgebungen, die wir bereits bewohnen, Räume zu schaffen: technologisch oder auch nicht, physisch oder auch nicht, schon bestehend oder auch nicht. Affektive Infrastrukturen sind Protokolle, die wir als Verbindungen aufbauen, bearbeiten oder uns wieder zu eigen machen müssen, die verschiedene Welten zusammenbringen und zusammenhalten werden.
Übersetzung aus dem Englischen von Jen Theodor.
Lektorat von Tabea Hamperl.