Art in the Age of the Three Big Ts

Essay
19.05.2016

Art in the Age of the Three Big Ts

Warum werden einige politische Themen innerhalb des Kunstkontextes so heiß debattiert und andere werden als irrelevant oder sogar unantastbar erachtet? Kristoffer Gansing, künstlerischer Leiter der transmediale, taucht ein in die politische Debatte rund um TTIP: was für einen Einfluss kann das Transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA auf Kulturproduktion haben? Und warum ist der Sektor der Digitalen Kunst und Kultur so lange zu diesem Thema still geblieben? Im Gegenzug reflektiert er, wie Veranstaltungen während der transmediale/conversationpiece die Debatte wieder aufleben ließ.


Die mutmaßlichen Gefahren von TTIP, dem Freihandelsabkommen welches derzeit zwischen der EU und den USA in Verhandlung steht, haben eine neue Dringlichkeit durch die von Greenpeace veröffentlichten Dokumente bekommen. Zum ersten Mal hat die Öffentlichkeit einen umfangreichen Einblick in die Mechanismen von Marktzugang und Liberalisierung, wie sie in den Handelsgesprächen diskutiert werden, bekommen. In diesem kurzen Artikel, welcher ursprünglich für iRights Ende 2015 geschrieben wurde, diskutiere ich meinen Eindruck über die fehlende Kritik seitens der Digitalen Kunst. Das mutet insbesondere deswegen als verwunderlich an, da der Sektor der Digitalen Kultur durch die Nähe zu Fragen von Kommunikationsinfrastruktur, Autonomie und kultureller Diversität stark von TTIP betroffen ist. Das hat mich dazu geführt anzunehmen, dass die Akteure der Digitalen Kunst über eine gewisse Berührungsangst diesbezüglich verfügen. Eine der Gründe dafür könnte schlicht und ergreifend sein, dass die Szene rund um Digitaler Kunst und Aktivismus oberflächlich betrachtet ein ähnliches Set von Idealen und Rhetoriken teilt, wie es auch von Politikern welche TTIP unterstützen verwendet wird: das Anpreisen und Vorantreiben von Zugang, Redefreiheit und Innovation. Meine Behauptung jedoch ist, dass wir misstrauisch gegenüber dieser Rhetorik sein müssen und ein neues Vokabular, welches sich von dem Glauben in regulatorische neoliberale Albträumen wie TTIP abgrenzt, erfinden müssen.

 

Die Konterrevolution

Vor ein paar Jahren veröffentlichte der schwedische Netzaktivist und Historiker Rasmus Fleischer einen Artikel, in dem er von einer Konterrevolution in der Internetpolitik sprach. Kurz gefasst, beschrieb er, wie Regierungen und Unternehmen darauf hinarbeiten, das Internet immer abgesicherter, marktförmiger und zentralistischer zu machen. Aber wie sie zugleich darüber hinwegtäuschen, indem sie sich eines Diskursvokabulars von freier Meinungsäußerung und Offenheit bedienen, das eigentlich mit der kritischen Netzkultur assoziiert wird. Ich hatte Fleischer daraufhin zu einer Podiumsdiskussion auf der Transmediale Anfang 2014 eingeladen, zusammen mit dem Hacker und Sicherheitsexperten Frank Rieger, der Netzkünstlerin Geraldine Juárez und Olof Ehrencrona, einem schwedischen Politiker der Konservativen mit Schwerpunkt auf den Themen Kommunikationsfreiheit und Internetpolitik. Die Diskussion war jedoch zum Scheitern verurteilt, weil sich die Teilnehmer nicht auf gemeinsame Begrifflichkeiten einigen konnten und mit denselben Worten über ganz unterschiedliche Dinge sprachen. So wurde die Veranstaltung unfreiwillig zu einem guten Beispiel dafür, wie besagte Konterrevolution in die kritische Netzkultur eindringt und sie immer mehr durchzieht. Heute, fast zwei Jahre später, ist es noch schwieriger geworden, die Neoliberalisierung der Internet-Kultur begrifflich angemessen zu umschreiben und neue Formate zu finden, in denen sie sich thematisieren lässt. Denn an Handelsabkommen wie TTIP ist deutlich geworden, dass die Konterrevolution vor allem regulatorischer Art ist. Sie bedroht gleichermaßen die freie Meinungsäußerung, die dezentralisierte Kommunikation, die freie Kultur und Gemeingüter wie das unabhängige künstlerische Schaffen.

 

Die Regulierung der Regulierung

Diese regulatorische Revolution manifestiert sich nicht zuletzt in den internationalen Freihandelsabkommen, die derzeit verhandelt werden. In Deutschland und Europa geradezu berüchtigt ist das TTIP-Abkommen, das derzeit zwischen der EU und den USA verhandelt wird. TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) gehört mit TPP (Trans-Pacific Partnership Agreement) und TISA (Trade in Services Agreement) zu den drei großen Ts, deren übergeordnetes Ziel darin besteht, wirtschaftliches Wachstum durch Marktliberalisierung zu befördern. Damit geht nicht nur eine Standardisierung von Produkten und Dienstleistungen einher, sondern es sollen auch Marktzugangshürden für Unternehmen gesenkt werden – in verschiedenen Bereichen, darunter so relevante Felder wie Telekommunikation oder geistiges Eigentum. Zu den Gemeinsamkeiten all dieser Abkommen gehört, dass sie auf eine Erhöhung des urheberrechtlichen Schutzniveaus abzielen, und zwar so, dass anscheinend vor allem Konzerne davon profitieren, während die freie Meinungsäußerung in vielen Kontexten behindert und die Netzneutralität kaputt gemacht wird. Man braucht nur einen Blick auf die Dokumente zu werfen, die Wikileaks im Oktober 2015 veröffentlicht hat. Es handelt sich um das Kapitel über geistige Eigentumsrechte aus der Transpazifischen Partnerschaft, dem TPP-Abkommen. Die Auswirkungen, die diese Regelungen beispielsweise auf die digitale Kultur in Kanada hätten, sind furchterregend: Sie reichen von regelrechter Webseiten-Zensur bis hin zur Kriminalisierung von Verschlüsselungstechniken im Interesse US-amerikanischer Konzerne.

 

Desaströse Konsequenzen

Im EU-US-Kontext, wo es um TTIP geht, werden vor allem die geplanten Investitionsschutzklagen kritisiert. Hier sollen Unternehmen, die in einem fremden Land tätig sind, die Möglichkeit haben, Regierungen vor spezielle Schiedsgerichte zu zerren, wenn diese vermeintlich unfaire Handelsbedingungen aufstellen wollen. Es gibt eine Menge Debatten über die desaströsen Konsequenzen, die solche Verfahren für den starken öffentlichen Sektor in der EU haben könnten. In diesem Zusammenhang steht auch die Diskussion über voraussichtliche Ausnahmeregelungen für die Bereiche Kunst und Kultur sowie für den audiovisuellen Sektor. Diese Ausnahmen werden derzeit noch verhandelt, im Interesse eines Schutzes der kulturellen Vielfalt. In einem Artikel für die Radical Philosophy Review hat Maïa Pal das TTIP-Abkommen zutreffend als „Regulierung der Regulierung“ beschrieben. Einstweilen ringt die Zivilgesellschaft noch darum, genau zu verstehen, worum es eigentlich geht. Denn solche Abkommen werden von der Europäischen Kommission und ihren Partnern hinter verschlossenen Türen verhandelt, und nur wenig dringt nach draußen.

 

Abwesenheit der digitalen Kunstszene

Trotzdem hat der Widerstand der Bürger gegen TTIP einen beachtlichen Zuwachs erfahren, bis hin zu einer Demonstration am 11. Oktober 2015 in Berlin mit 250.000 Teilnehmern, organisiert von einem breiten Bündnis gewerkschaftlicher, politischer und zivilgesellschaftlicher Gruppen. Auch ein paar netzpolitische Akteure waren dabei. Auffällig war jedoch die Abwesenheit von Akteuren, die explizit der digitalen Kunst-Szene zuzurechnen sind. Warum hat sich diese Community, die meines Erachtens ein ureigenes Interesse haben müsste, in der Diskussion um TTIP und ähnliche Deals nicht lauter zu Wort gemeldet? Die Distribution und Produktion kultureller Güter auf digitalen Märkten werden zunehmend von Unternehmen übernommen, die man traditionell nicht dem kulturellen oder audiovisuellen Sektor zurechnet. Wie sind Amazon oder Google einzuordnen, die mit ihren verschiedenen medialen Ablegern wie Youtube, Google Books, der Amazon Cloud oder den Amazon Studios schon bald große Player auf den kulturellen Märkten sein werden? Und es geht nicht nur um gigantische US-Akteure, die von TTIP wohl eher profitieren und alternative Dienste potenziell verdrängen werden. Das experimentelle Feld der digitalen Kunst und Kultur in Europa ist seit jeher hybrid, sowohl was seine Organisationsform als auch was seine kulturelle Produktion angeht. Es fügt sich nicht reibungslos in etablierte kulturelle Kategorien ein und wird deshalb auch nicht ohne Weiteres unter die bislang diskutierten Ausnahmeregelungen fallen.

 

Die Berührungsangst überwinden

Ein wichtiger Grund für den Mangel an Widerstand gegen TTIP aus dem Lager der digitalen Kunst und Kultur könnte darin liegen, dass so wenige Informationen über das Abkommen öffentlich verfügbar sind. Wikileaks hat im August 2015 als Konsequenz daraus eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Für geleakte TTIP-Verhandlungsdokumente wurde eine Belohnung von 100.000 Euro ausgeschrieben. Dass so wenig über die Inhalte bekannt ist, macht TTIP schwer greifbar und damit schwer angreifbar, ja sogar schwer verstehbar – jedenfalls im Vergleich zu den heftig bekämpften Abkommen ACTA oder SOPA, bei denen es um spezifische, urheberrechtliche Regelungen im Bereich der audiovisuellen Produktion und Distribution ging. TTIP wirkt da eher wie eine Art Meta-AGB ohne Opt-out-Möglichkeit: Wir alle werden in Zukunft diesen Allgemeinen Geschäftsbedingungen zustimmen müssen, um überhaupt noch Informationen, Güter und Dienstleistungen austauschen zu können. Wie ich aber anfangs schon angedeutet habe: Der Hauptgrund für den fehlenden Protest der digitalen Kultur gegen TTIP besteht wohl in einer Berührungsangst aufgrund einer Verwirrung – und zwar über Zielvorstellungen und Begrifflichkeiten. Deshalb ist ein tiefgreifendes Gespräch darüber nötig, wohin sich dieses Feld entwickeln wird und welche Alternativen zum business as usual formuliert werden können.

 

Kulturelle Gespräche initiieren

Künstlerische Ansätze können extrem wertvoll sein, um neue Sprachen und Bildwelten zu entwickeln, die über tagesaktuelle Ereignisse wie TTIP-Verhandlungen hinausweisen. Zugleich schaffen sie die Möglichkeit, solche Themen neu und mit größerer Präzision aufzugreifen. Auf der nächsten Transmediale werden wir deshalb von den üblichen großen Formaten Abstand nehmen und uns stattdessen darauf konzentrieren, kulturelle Gespräche im Rahmen hybrider Dialog-Events zu initiieren. Wenn wir von digitaler Kultur sprechen, müssen wir uns darüber verständigen, was da eigentlich vor sich geht. Wir müssen die Bedingungen und die Begrifflichkeiten unserer Konversation neu definieren. Um ein Beispiel zu zeigen, das bereits in diese Richtung weist, haben wir die Künstler Valentina Karga und Pieterjan Grandry eingeladen, mit ihrem Projekt Market for Immaterial Value. Es ist eine kritische Reflexion der virtualisierten Wirtschaft und der Rolle der Kunst in ihr. Hauptsächlich im Medium von Gesprächen – sowohl informellen als auch inszenierten und performativen – stellen die beiden Künstler die Frage, ob ein anderes unternehmerisches Ethos denkbar wäre, das auf andere als monetäre Werte setzt. Die künstlerische Dekonstruktion der Vorstellung eines Marktes ermöglicht vielleicht das Entstehen neuer kultureller Gemeingüter, die über die derzeitige Tendenz zu einer immer weiteren Effizienzsteigerung hinausweisen – ob nun im Makro-Bereich von TTIP oder im Mikro-Bereich der Sharing Economy.

 

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Magazin Das Netz – Jahresrück­blick Netzpolitik 2015/16 veröffentlicht. Das Magazin ist gedruckt, als E-Book und online erschienen.

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