BWPWAP Curatorial Statement

29.09.2012

BWPWAP Curatorial Statement

Als Mobiltelefone noch stumm waren. Briefe durch Rohrpostanlagen flogen. Tweets von Vögeln kamen. User mit Minitel chatteten. IRC von ICQ ablöst wurde. Xerox mit Thermofax konkurrierte. YouTube irgendein Web 2.0-Start-up war. Fax das neue Telex war. Man Bulletin Board Systeme abrief. Nur Studenten Facebook nutzten. Geschichte zu Ende gegangen war. Wir neun Planeten hatten.

Pluto Was A Planet

 

Back When

Als Mobiltelefone noch stumm waren. Briefe durch Rohrpostanlagen flogen. Tweets von Vögeln kamen. User mit Minitel chatteten. IRC von ICQ ablöst wurde. Xerox mit Thermofax konkurrierte. YouTube irgendein Web 2.0-Start-up war. Fax das neue Telex war. Man Bulletin Board Systeme abrief. Nur Studenten Facebook nutzten. Geschichte zu Ende gegangen war. Wir neun Planeten hatten.

Pluto Was A Planet

 

Im Netzjargon benutzt man das Akronym BWPWAP (Back When Pluto Was a Planet), um über Dinge zu reden, die sich vor Kurzem schnell verändert haben.

 

Am 24. August 2006 stimmte die Internationale Astronomische Union bei der Abschlusszeremonie ihrer Generalversammlung für die „Degradierung“ Plutos und erkannte ihm den Planetenstatus ab. Auch wenn Pluto nun offiziell kein Planet mehr ist, bleibt er das für viele Menschen. Dass Pluto degradiert wurde, war vor allem neuen Beobachtungstechnologien und einer damit einhergehenden Neudefinition von Planeten geschuldet. Von ursprünglich neun zählt unser Sonnensystem nun also nur noch acht Planeten. Und was ist Pluto? Ein Zwergplanet, ein Plutoid, ein Planet, ein mythologischer Herrscher der Unterwelt, ein Zeichentrickhund. Über diese möglichen Definitionen hinaus steht Pluto im Kontext der transmediale 2013 für ein Element, das zur Krise führt: Seine fluktuierende und umstrittene Identität bekräftigt die Neuformulierung etablierter Wissenskategorien. Die Entscheidung, Pluto aus seinem Planetenstatus zu entheben, verärgerte viele. Stimmen von Astrologen wurden laut, die 2006 nicht an der Versammlung hatten teilnehmen können. Eine starke öffentliche Reaktion folgte, Gegner protestierten mit Rap-Songs wie Bring Back Pluto, T-Shirts und Autoaufklebern gegen das Abstimmungsergebnis, verbreiteten Computerspiele wie Pluto Strikes Back und YouTube-Videos von Demonstrationen für Pluto, um nur einige Reaktionen aus Populär- und User-Kultur zu nennen. Und dann ist da noch das Akronym BWPWAP aus dem Netzjargon, das Dinge aus der Vergangenheit und der Gegenwart beschreibt, die sich etablierten Wissensstandards nicht unterordnen.

 

Die transmediale 2013 zeigt, dass die von neuen Technologien und in Bewegung befindlichen Wissensparadigmen angefeuerte Klassifizierungskrise wertvollen Raum für das Aushandeln von Kultur und künstlerische Interventionen eröffnet. Letztlich hat die Bedeutung von Pluto gar nicht so viel damit zu tun, was laut Definition nun ein Planet ist oder nicht. Plutos Geschichte ist vielmehr eine über unsere kulturelle Situation, eine darüber, wie technologische Entwicklungen und neue Wissensparadigmen unser kulturelles Imaginäres verändern. Trotzdem zeigt der Widerstand gegen Plutos Degradierung, dass diese technoide wissenschaftliche Welt auf Ablehnung stößt. Bei der transmediale 2013 laden wir Sie dazu ein, das vermeintlich Offensichtliche weiter in Frage zu stellen, mit einem Programm, das junge Vergangenheiten und halbvergessene Orte wieder auf den Plan ruft und irreale sowie poetische Modi der Kulturkritik untersucht – als ob BWPWAP.

 

Das Programm folgt vier Themensträngen: Users, Networks, Paper und Desire. Es wirft einen Blick darauf, was diese Motive BWPWAP bedeuteten, was sie heute bedeuten und wie sich diese Bedeutung in der Zukunft entwickeln könnte – ausgehend von der zentralen These sich verändernder Realitäten. Die Themenstränge verlaufen quer durch die verschiedenen Festival-Events, und indem sie ihnen nachgehen, können die Besucher ständige Verschiebungen von Vorgehensweisen und Perspektiven erleben.

 

Der Themenstrang Users widmet sich dem User als einer der wichtigsten Figuren in der Kulturlandschaft des 21. Jahrhunderts, beleuchtet verschiedene Aspekte, zum Beispiel die geschichtliche Entwicklung der User-Kultur innerhalb der Konsumgesellschaft und der Kybernetik, und greift die wechselnden Rollen des Users auf.

 

Mit dem Themenstrang Networks fragen wir danach, was es heißt, wenn Netzwerke BWPWAP sind und was es bedeutet, dass (soziale) Netzwerke allgegenwärtig sind und die Art und Weise verändern, wie wir Freundschaften schließen und Kontakte knüpfen.

 

Der Themenstrang Paper folgt der Geschichte des Papiers als transzendente kulturelle Form und beschäftigt sich mit den diversen künstlerischen Aneignungen des Mediums in Bewegungen wie der Mail Art und der Visuellen Poesie, mit elektronischer Literatur und anderen Phänomenen.

 

Rund um das Thema Desire erkunden wir, wie die kritische Auseinandersetzung mit Sexualität und Pornografie die digitale Kultur und die Politik der Gegenwart beeinflussen kann. Dafür nutzen wir Formen queerer Ausdrucksweisen, stellen gegenüber, demontieren, fragmentieren und schaffen unerwartete Kombinationen.

 

Wie Pluto selbst sind diese Themen „Objekte“ in der Krise. Im post-digitalen Zeitalter ist ihre Identität nicht mehr selbstverständlich, das macht sich in den kulturellen, politischen und ökonomischen Krisen bemerkbar, die sie alle durchlaufen. Doch diese Krisen sind Gelegenheit für künstlerische Auseinandersetzung und Reflexion. Der zeit- und raumlosen Logik von BWPWAP folgend, suchen wir in jedem dieser Themenstränge nach neuen Wegen, Geschichte, Praxis und Zukunft dieser vertrauten Territorien zu begreifen. Vor kurzem mögen wir diese Territorien noch als selbstverständlich hingenommen haben, doch jetzt müssen wir von der Vergangenheit lernen, um in der Gegenwart neue Konzepte für die kulturelle Praxis gestalten zu können.

 

Programm-Team der transmediale 2013

Kristoffer Gansing, Künstlerischer Leiter

Tatiana Bazzichelli, reSource transmedial culture Berlin, Programm-Kuratorin

Jacob Lillemose, Kurator der Ausstellungen

Marcel Schwierin, Film- und Videoprogramm

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