Der Cyborg Mythos - Podiumdiskussion
Der Cyborg Mythos - Podiumdiskussion
Die Nadel auf dem Kompass gegenwär tiger Diskurse weist zunehmend Rich tung Zukunft - stetig angezogen vom ,N' - das für das NEUE steht. Geschich te, Gegenwart und jede noch halbwegs absehbare Entwicklung scheinen dieser allgegenwärtigen Orakelei hinterherzu laufen. Alles scheint sich an diesem magnetisierenden Sog ausrichten zu müssen.
Die heutigen Diskurse verpflanzen den Menschen in eine Zukunft, von der aus er sein Ebenbild jenseits der Zukunft betrachtet. Technologisch optimiert - befreit von allen Makeln seiner fehler haften Vergangenheit.
Diese Ausrichtung der Diskurse mani festiert den Postfuturismus.
Vor allem die Medien-Diskurse bezie hen sich zunehmend auf Prozesse des Abwesenden, des nicht Sicht- und Fest legbaren. Diese Harmlosigkeit aus Refe- renzlosigkeit - gepaart mit der Exotik dieses quasi virtuellen Gedankensports - erklärt sicherlich auch zum Teil den enormen Boom dieser Denk-Rich- tung. Wir sehen uns einer Inflation der Mut
maßungen gegenüber, welche In Form
des abgezogenen Interesses für die
Gegenwart, für die Langeweile des vielleicht noch Machbaren, ein ungeheue res Vakuum produziert, in dem jeder Antrieb zum „sich in-Bezug-setzen" zur Gegenwart, im Vortex der futurolo- gischen Dauer-Prophetie verschwindet. In diesem Sog lassen sich auch leichten Herzens ethische und moralische Bedenken In Bezug auf gegenwärtige Entwicklungen über Bord werfen. Was in Zukunft machbar sein wird, lohnt keinen Gedanken mehr an die Gegen wart.
Irgendwann wird der Retortenmensch die Norm sein. Irgendwann wird die Hirnverpflanzung eine Operation wie jede andere sein. Warum sich jetzt noch Gedanken über die gegenwärtigen Konsequenzen machen? Warum jetzt noch eine Diskussion über das Recht am eigenen Bewußtsein, wenn es In
X Jahren käuflich aufzurüsten ist?
Doch zwischen dem Jetzt und der Zu kunft liegt (noch immer) die Schlucht der Machbarkeit. Vom Sollen läßt sich bekanntlich kein Sein ableiten - von einer imaginierten Zukunft keine reale Gegenwart bauen.
Wird der Mensch zu einem Schöpfer, der sich, mittels der Neuerschaffung seiner verbesserten Version, selbst ab schafft? Der Kult des Neuen als techno theologischer Kannibalismus.
An jedem Körperteil wird gearbeitet — eine Aufrüstung zum Bestehen der Zukunft. Wir sind nicht (mehr) Tote auf Urlaub, sondern Tote, die vom vollkom menen, endlosen Urlaub träumen. April '97