der katastrophen - kreislauf

der katastrophen - kreislauf

Date: 
16.02.1996 22:30
Edition: 
1996
Format: 
Panel
Location: 
Podewil

Guten Abend, meine Damen und Herren, machen wir uns einen schönen Abend. Die Wirklichkeit ist so ernst und so furchtbar, daß wir sie ab sofort nicht mehr ernst nehmen. Worum geht es denn heute? Die entscheidende Frage ist doch: Wer ist Freund, wer ist Feind, und wen muß man sofort erschießen, damit endlich Ruhe ist? Die Serben oder Schirinowski? Die Schuldigen oder die Verantwortlichen? Den Musikantenstadel oder die Fischerchöre? Aber ist dann wirklich Ruhe, wenn nur die alle tot sind?
Ja, mir geht's gut. Ich habe mein Lebensmotto gefunden: Die paar Tage noch, die uns bleiben, die lasse ich mir nicht versauen. Die Zukunft haben wir im Griff, die Gegenwart bald hinter uns, und die Vergangenheit war nicht ohne, (aus: „Die paar Tage noch" - aktuelles Programm von Matthias Beltz.) Äußere und innere Katastrophen - ihre Verkettungen und Wechselwirkungen. Möglicherweise liegt in ihren Zentren ein gemeinsamer, menschlicher Kern:
das „Genom der Katastrophe".
Schnittpunkt Wahrnehmung
Das Prinzip des Kreislaufs: Der Zyklus aus Blick / Information (Außen) und Wahrnehmung / Verarbeitung (Innen).
Der Kausal-Kreisel medialer Katastrophen(re)produktion - eine Rotation aus Entstehung und Präsentation. Wie naiv muß man sein, zu glauben, daß all diese Katastrophen, das gesamte Elend nur aus Gründen der Informationsbefriedi­ gung gezeigt werden und nicht zur Lustbefriedigung?
Der zyklische Katastrophen-Blick und das Verursacher­ prinzip. Bringt mein Blick den Tod?
Projektionen aus: der Tod IST (tape; 1994), Light Sleep/ Mondspiegel (Installationen), u.a. zusätzliche Sounds: Paul Modler.
Das abendländische Subjekt ist als postkatastrophisches konzipiert. Odysseus ist sein Modell, der einen „Schiff­ bruch" um den andern überlebt, die allesamt Trennungen vom Weiblichen sind, ob es als Frau oder als Materie „ge­ fangenhält". Den jeweiligen Wogen entstiegen, wirft das postkatastrophische Subjekt einen Blick zurück, der „nach mir die Sintflut!" ruft, während sein Blick nach vorn mit dem Motto flieht: „Ich bin noch einmal davongekommen!" Kein Zweifel, Odysseus' Blick ist der des Fernsehers, der schließlich zur Erfindung des Fernsehers führt, damit diesem postkatastrophischen Subjekt nichts mehr von seinen selbst produzierten Katastrophen auf die Pelle rückt.
Hautnah mit diesem Subjekt in den verschiedensten Varian­ ten und Exemplaren konfrontiert, werde ich schon viel zu lange in seine, sich stets aufs Neue wiederholenden Ka­ tastrophenkreisläufe hineingezogen, aus denen Ich mich durch meine Arbeit als Kulturwissenschaftlerin zu retten suche. Sei es, daß ich als Professorin lehrend In Berlin und Wien tätig bin, sei es, daß ich innere und äußere „Schiff­ brüche" als Publizistin analysiere und dies, wenn es geht, nicht nur im Nachhinein. Einen Fernseher habe ich nicht.

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