Für eine non-monetäre Ökonomie
Für eine non-monetäre Ökonomie
Vorwort
Geld dient unter anderem dazu, Güter und Arbeit zu verteilen. In Zukunft werden wir diese Aufgaben auch anders lösen können, ohne Geld und stattdessen mit Hilfe von Netzwerken, Algorithmen und künstlicher Intelligenz.
Warum auf Geld verzichten? Im Medium Geld verbinden sich drei Funktion: zahlen, bewerten und speichern. In jeder monetären Ökonomie tendiert das Speichern dazu, die beiden anderen Funktionen zu dominieren. Dabei handelt es sich um eine unvermeidliche, weil im Geld angelegte Tendenz. Das Kommando »Mehr!« ist ihm von Anfang an eingeschrieben. Es drängt zu einem Zustand, in dem alle Zahlungen und jegliche wirtschaftliche Aktivität dazu dienen Tribute abzuführen. Jede Bewertung von Gütern oder Berufen verschiebt sich zugunsten der Vermögen und ihrer Vermehrung. Einkünfte und Eigentum sind immer ungleicher verteilt. Kein Wunder, beschränken sich die Maßnahmen der Zentralbanken nach der Krise 2008 auf die seitdem kontinuierlich fortgesetzte Rettung der Vermögen.
Der Entwurf einer non-monetären Ökonomie setzt der Geldwirtschaft eine fundamentale Utopie entgegen. Sie kommt ohne Geld aus, streicht das Speichern von Wert und Vermögen und ersetzt die Funktionen des Bewertens und Zahlens durch eine algorithmisch unterstützte Verteilung der Dinge und Tätigkeiten. Technisch ist das möglich, da wir inzwischen alle Transaktionen digital notieren und genügend Daten verrechnen können, um die Informationsfunktion des Marktes zu unterlaufen. In diesem Sinn stellt die non-monetäre Ökonomie eine radikale linke Utopie dar: eine Wirtschaft, die ökonomische Gleichverteilung anstrebt, indem sie das gegenwärtige System an einer fundamentalen, weil medialen Stelle umbaut.
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1. Verteilen
Aufgabe der Ökonomie ist es, Güter und Arbeit zu verteilen. Dazu braucht es kein Geld. Historisch hat es sich so ergeben, dass über das Medium Geld die nötigen wirtschaftlichen Informationen gebündelt und vermittelt wurden. Heute läuft fast die gesamte Ökonomie unterm monetären Regime. Damit ist jedoch weder das Ende der Geschichte noch eine optimale Lösung erreicht. Seit Daten und Rechner groß und schnell genug sind, können wir andere, geldlose und wahrscheinlich bessere Verfahren der Verteilung ins Auge fassen. Dazu müssen wir bei Fragen der Distribution und der Allokation zu beginnen und nicht erst bei Märkten und deren monetärer Einrichtung.
Die Aufgabe, sehr viele verschiedene Dinge unter sehr vielen Beteiligten zu verteilen, stellt ein typisches Problem in Netzwerken dar. Schließlich geht es um eine Vielzahl von Verknüpfungen. Das Kernelement dieser Verknüpfungen bildet eine soziale Relation, sei es durch Gabe oder durch Hilfe oder durch Kommunikation. Was verteilt wird, sind Verknüpfungen oder »Links«.
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Mit der Dichte und Menge an Daten verändert sich das Verhältnis von Preisen zu Information radikal. Preise bringen nur noch nachträglich zum Ausdruck, was wir über das Verhalten des Konsumenten am Markt ohnehin wissen. Wir sehen heute schon beim Buchen von Flügen, wie Preise von Algorithmen gemacht werden. Der Datenvorsprung betrifft nicht nur Endkonsumenten, sondern auch große Handelsplätze. Die sporadischen Flash-Crashs zeigen, was passiert, wenn Algos mit Aktien und anderen Papieren spekulieren. Wenn sich aus unserem Profil, unseren Likes und unserer Konsumgeschichte errechnen lässt, was wer wann kaufen wird, schnurrt der Markt auf einen singulären Moment zusammen. Im Preis liegt dann keine zusätzliche Information mehr. Formell wird die Verteilung noch auf Preise abgebildet und in Geld verrechnet, aber in den zugrunde liegenden Datenströmen zeigt sich bereits die technologische Basis einer non-monetären Ökonomie.
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2. Transaktionen
Transaktionen bilden die Basis jeder Ökonomie. Die einfachste aller Transaktionen ist die Gabe. Eine Person (A) gibt etwas (x) an eine andere Person (B) - notiert als Tupel (A,B,x). Person bezieht sich hier auf jede Art von Akteur, die oder der oder das als handelnd auftritt, also nicht nur Menschen, sondern auch Automaten, Programme, Maschinen oder andere Lebewesen. Als Gabe wiederum kann alles gelten, was sich geben lässt, also nicht nur Waren, sondern auch Informationen, Ereignisse, Zugänge, Handlungen, Hilfeleistungen und ähnliches.
Warum soll das Geben und nicht die Arbeit als Basis der Ökonomie gelten? Aus dem einfachen Grund, dass man sehr wohl arbeiten kann, ohne Teil der Ökonomie zu werden, also ganz für sich selbst und ohne weitere Effekte für andere. Dagegen stellt eine Transaktion immer ein soziales Verhältnis her. Das macht bei der Arbeitsteilung das Teilen zur grundlegenden Handlung, und nicht die Arbeit. Ohnehin müssen wir noch genauer betrachten, was ökonomisches Tun bedeutet. Arbeit gehört zur Geldwirtschaft und der Idee bezahlter, entfremdeter Produktionstätigkeiten. Im non-monetären Feld entscheidet sich der ökonomische Wert einer Tätigkeit daran, ob und wie sie geteilt wird.
Sämtliche Formate und Strukturen des Gebens und Tauschens wie Zahlungen, Preise, Werte; Käufer, Konsum, Angebot, Nachfrage oder Märkte lassen sich auf einfache Transaktionen zurückführen. Man kann die Gesamtheit aller ökonomischen Verhältnisse von der elementaren Transaktion des Gebens her begreifen.
Das heute als Normalfall angesehene Kaufen kam in der langen Geschichte ökonomischer Verhältnisse eher spät auf, und mit ihm das Geld. Vorher waren einfache Transaktionen die Regel, also Gaben, durchaus auch erzwungene, etwa in Form von Steuern. Dass die Gaben bemessen und in Zahlenform notiert wurden, begann nicht mit dem Geld, sondern mit Aufschreibesystemen, die meistens an Tempel angeschlossen waren. Alle jene Geschichten des Geldes, die die Wirtschaft mit dem Tausch beginnen lassen, liegen nicht nur historisch falsch, sondern weigern sich, eine Ökonomie vor dem Geld anzuerkennen, und taugen deshalb auch nicht dazu, eine Ökonomie ohne Geld zu denken.
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3. Medien und Netze
Wann Daten die Aufgaben des Geldes übernehmen können, hängt vom Verhältnis der Rechenkapazitäten zu den Transaktionen ab. Sobald Computernetzwerke groß und schnell genug sind, um sämtliche Zahlungsvorgänge zu verarbeiten, besteht technisch gesehen die Möglichkeit, die Funktion des Geldes algorithmisch zu emulieren. Wir stehen heute genau an dieser Schwelle. Wahrscheinlich haben wir sie schon überschritten.
Ganz neu sind geldlose Wirtschaftsformen nicht. Vor dem Aufkommen des Geldes wurden größere ökonomische Einheiten durch Aufschreibesysteme verwaltet. Deren Reste finden wir nicht nur in den Ruinen der Tempel, sondern auch in den Schuldmythen vieler Religionen. In einem der wohl bekanntesten aller Gebete fordern Christen auf aller Welt tagtäglich millionenfach ein Ende der Verschuldung: »Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.« Den ökonomischen Kern dieser Zeilen haben sie leider vergessen. Mit der Umstellung von einem zentralen Aufschreibesystem auf ein dezentrales, nämlich Geld, kamen die Schuldenerlasse aus der Mode. Nicht von ungefähr, denn die vielen Gläubiger, die an die Stelle der einen Zentralmacht getreten waren, hatten mehr Interesse, Schulden einzutreiben als abzuschreiben. Das Christentum reagierte, indem es Schulden durch Sünden und den Schulderlass für alle durch die Beichte für jeden Einzelnen ersetzte, sprich durch Kontrolle.
Historisch gesehen beginnen ökonomische Verhältnisse nicht mit dem Tausch und schon gar nicht mit dem Bezahlen. Zuerst wird gegeben, geholfen, geliehen. Besitz ist unbekannt. In dörflichen Gemeinschaften reicht das Gedächtnis der Leute aus, um ungefähr nachzuvollziehen, wer wem was gegeben hat.
Erst die Erfindung der Schrift führt dazu, dass sich größere ökonomische Einheiten längerfristig organisieren lassen. Aufzeichnungen von Gaben und Schulden finden sich an sehr vielen Ausgrabungsorten alter Zivilisationen. Letztlich geht die Erfindung der Schrift auf solche Archive von Gaben und Abgaben zurück. Zusammen mit dem ersten generellen Medium und den Aufschreibesystem wachsen die neuen ökonomischen Einheiten. Die Herrschaft dieser Aufschreibeökonomien, meistens um Tempel und Städte, kann sich genau so weit ausdehnen, wie ihre Macht reicht Abgaben einzutreiben.
Geld kommt erst später. Im streng technischen Sinn ist es kein Medium, sondern ein Verfahren, das verschiedenste Medien einsetzt, um Aufschreibsel transportabel zu machen und read-only zu prozessieren. Für die Ökonomie bedeutet das Geld eine grundlegende Neuerung, da es die einfache Transaktion der Gabe in einen symmetrischen Tausch auflöst. Wenn jemand für den Erwerb eines Dinges bezahlt, bleibt kein Rest. Es muss nichts mehr notiert werden. Geld spart Daten.
Die Expansion des Geldes läuft parallel zu kriegerischen und expansiven Staatswesen, die mit Hilfe des Geldes einen Kreislauf von Steuern, Sold und Versorgung der Armee in Gang setzen.
Über der Zirkulation der Güter und Arbeiten baut sich nun langsam ein verschachteltes Gebäude von mehr oder weniger geldnahen Notationsformen für Zahlungen und Zahlungsversprechen auf, von der Münze zum Schuldschein, dem Wechsel, dem Papiergeld bis hin zu digitalen Geldern. Am Ende sind wir wieder bei einem Aufschreibesystem gelandet, das nicht nur sämtliche Zahlungen notiert, sondern dazu auch noch die abenteuerlichsten Derivate und Wetten auf Zahlungsversprechen konstruiert. Dass Geld Daten komprimiert, interessiert nicht mehr, seit wir genug Daten prozessieren können.
Peer-to-Peer Gelder und Kryptowährungen fügen diesem System nichts grundsätzlich Neues hinzu. Bei Bitcoins handelt es sich nach wie vor um Geld, auch wenn es einer zentralen Institution entzogen ist. Auf dem Weg zur Abschaffung des Geldes stellen sie lediglich einen Umweg dar. Denn das Prinzip der Zahlung erhalten auch digitale und P2P-Zahlungssysteme aufrecht. Sie bilden einfach nur das alte Geld auf das neue mediale Fundament eines verteilten Netzwerks ab. Das entspricht der ersten Stufe eines medialen Umbruchs.
In der Medientheorie ist seit Marshall McLuhan die Regel geläufig, dass neue Medien erst einmal alte Inhalte abbilden. Wir haben es bei medialen Umbrüchen demzufolge oft mit einem zweiphasigen Ablauf zu tun. Erst findet die Abbildung das Alten im Neuen statt, wie in unserem Fall durch Bitcoin als Netzwerk-Abbild des Geldes. Erst in einer zweiten Phase stellt sich heraus, welches Eigenleben sich im neuen Medium entfalten kann. Dieser Schritt steht für das Geld noch aus. Er liegt in der Übernahme der ökonomischen Funktionen des Geldes durch intelligente Netzwerke.
Bemerkenswerter als die bloße Imitation von Geld erscheint an den P2P-Währungen die Architektur im Hintergrund, die sogenannte Blockchain. Sie legt die Basis für ein dezentrales Verwaltungsverfahren, über das Transaktionen anonym vermittelt und überprüft werden. Das Verfahren taugt für Geld genauso gut wie für andere geldlose und dezentrale Notationssysteme. Damit stellt die Blockchain einen möglichen Baustein für eine Ökonomie nach dem Geld dar.
Die zweite Phase eines medialen Wandels betrifft die Frage, wie eine geldlose Ökonomie entstehen und wodurch genau sie das Geld ablösen könnte. Die technische Entwicklung lässt hier viele Möglichkeiten offen. Wir haben es nicht mit einem fest bestimmten Weg zu tun, der deterministisch medialen Vorgaben folgt. Technologischer Fortschritt eröffnet Möglichkeiten für künftige Aktivitäten, im informationsökologischen Sinn »Affordances«. Sie werden in der Regel in einem chaotischen Prozess voller Widersprüche erschlossen. Was den Wandel voranbringt, sind nicht Pläne oder Folgenabschätzungen, sondern im Gegenteil der Missbrauch der Möglichkeiten, die Gegenkultur, das Hacking und das Nutzen von Fehlern und Lücken. Das gilt auch für eine Ökonomie nach dem Geld. Wir werden sie nicht planen können. Sie wird in den Nischen und obskuren Ecken der Netzwerke aufkommen und sich von dort aus ausbreiten.
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4. Matching
Das Matching ist der wichtigste Vorgang in einer geldlosen Ökonomie. Es übernimmt Funktionen, die ansonsten durch Preise und am Markt gesteuert werden. »To match« meint so viel wie Zuordnen, Zuweisen oder Verknüpfen. Da mit dem Vorgang aber weder eine »Ordnung« noch eine »Weisung« verbunden ist, trifft das englische Wort die Sache am besten.
Der Matchingprozess dient dazu, bei einer Transaktion alle Beteiligten und deren Wünsche, Bedürfnisse, Möglichkeiten, Fähigkeiten und Angebote zusammen zu bringen, um zwischen ihnen zu vermitteln, bei der Entscheidung beratend zur Seite zu stehen, die Verhandlungen zu begleiten und das Resultat zu notieren.
Theorien von Algorithmen und Netzwerken bezeichnen mit Matching jede Zuordnung von Elementen zweier verschiedener Mengen. Bei diesen Elementen kann es sich in unserem Fall um Dinge oder Personen oder Ereignisse oder Zeitpunkte oder Orte oder Objekte aller Art handeln. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass Elemente derselben Menge miteinander gematcht werden, also etwa zwei Menschen bei der Vermittlung von Partnern, ein Team von Programmierern für die Entwicklung eines Projektes, oder Lastwagen und Container für einen Transport.
Formell gesehen vermittelt das Matching eine bedingte Gabe in einer netzwerkförmigen Umgebung. Das Ergebnis lässt sich als Differenz zwischen dem Vorher- und einem Nachher-Zustand beschreiben, wobei jede gematchte Transaktion Effekte über alle unmittelbar Beteiligten hinaus hat, wenn auch kleine. Die Umgebung umfasst alle Verbindungen und Informationen, die in das Matching eingehen, im Verlauf verarbeitet und beim Abschluss notiert werden. Dabei werden alle laufenden Entscheidungen berücksichtigt, sowohl von der Geben-Seite, der Nehmen-Seite, als auch vom gegebenen Gut und betroffenen Dritten. Zu den Faktoren gehören vergleichbare Transaktionen, die Geschichte der Transaktion im Profil der Beteiligten, sowie deren Wünsche, Bedürfnisse und Fähigkeiten.
Das Matching verarbeitet alle diese Parameter, um eine oder mehrere mögliche Lösungen vorzuschlagen. Es tritt dabei nicht als Auktionator auf, sondern als Mediator. Das heißt, es ist nicht das Ziel, die beste Lösung zum idealen Preis zu berechnen und es dabei zu belassen, sondern es geht darum, zwischen einer Reihe von Interessen zu vermitteln. Das Matching skaliert dabei je nach Bedarf. Nicht alle Optionen müssen immer ausgeschöpft werden. Für Dinge des täglichen Gebrauchs wird es zur Formsache und nimmt dann weniger Zeit in Anspruch als heute das Bezahlen. Betrifft das Matching dagegen einen weiter reichenden politischen Prozess, erstreckt es sich auf all die Gremien, Behörden und Interessierten, die auch heute daran beteiligt wären und wird sich daher ähnlich lang hinziehen.
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Das Matching macht auf dem Weg zur Entscheidung Vorschläge, zeigt Gelegenheiten und begleitet den Findungsprozess. Mag sein, der Algorithmus wird vorausschauend aktiv, bevor wir überhaupt daran denken, etwas Bestimmtes zu wollen. Manche Empfehlungs-Apps tun das heute schon, indem sie unsere Wünsche auswerten und vorausahnen. Ob wir diese Einflussnahme wollen oder nicht, ist vielleicht eine hypothetische Frage. Je mehr Vorteile sich die Leute von den Algorithmen versprechen, desto eher werden sie darauf zurückgreifen. Auf diese Weise entstehen sozial anerkannte Verhaltensmuster von selbst. Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit medialer Veränderungen sind an ihrer Basis nie einer sozialen Absicht unterstellt, sondern immer von technischen Eigendynamiken angetrieben.
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Von den Anwendern aus betrachtet, beginnt jedes Matchingverfahren meistens mit einem Wunsch oder einem Bedürfnis. Der Algorithmus schlägt daraufhin verschiedene Lösungen vor. Falls eine davon passt, werden die anderen Beteiligten, also etwa Produzenten, Anbieter, Erfinder, Maschinen oder Algorithmen angesprochen. Für den Fall, dass man sich einigt, wird die Transaktion durchgeführt und notiert. Der Impuls zum Matching kann von jeder der vier beteiligten Seiten ausgehen – also vom Interessierten, vom Anbieter, vom Produkt selbst oder auch vom Algorithmus.
Die meisten Schritte eines Matchings sind uns im Grunde vertraut. Wir führen sie ständig aus, wenn wir etwa im Netz nach etwas suchen oder etwas selbst anbieten und verkaufen.
Das Matchingverfahren umfasst ein ganzes Bündel an Funktionen rund um eine Transaktion. Ob uns diese Funktionen in einem einheitlichen Rahmen begegnen oder aufgespalten in eine Vielzahl von Apps, bleibt sich von der Seite der geldlosen Ökonomie her gleich. Der entscheidende Umstand liegt darin, dass das Matching nicht mehr mit Geld operiert, sondern Verteilung direkt organisiert. Das bedeutet auch, dass Transaktionen zwar notiert und gespeichert, aber nicht in festen Preisen bewertet und abgerechnet werden.
Matching ist an sich nichts Neues. Auch innerhalb einer mit Geld operierenden Ökonomie findet es laufend statt. Wenn wir Dinge kaufen oder jemand uns für Arbeit bezahlt, werden ebenfalls Zuordnungen getroffen. Sie folgen nur anderen Regeln als in einer geldlosen Welt. Ohne Geld fällt das Selektionskriterium eines einfachen und eindimensionalen Wertes weg. Stattdessen steht eine ganze Reihe verschiedener Entscheidungsfaktoren zur Verfügung.
Betrachten wir für einen Moment, wie Matching unter Geldbedingungen abläuft. Angenommen, wir gehen in einen Laden und kaufen etwas ein. Das Produkt hat in dem Moment bereits eine Geschichte hinter sich. Jemand hat es gestaltet, andere haben es hergestellt, der Laden hat es im Sortiment, weil mit Kunden wie uns zu rechnen war. Unserem Kauf gehen also etliche Entscheidungen voraus, die alle mit dem Austausch von Information verbunden sind.
Bevor wir die Ware tatsächlich nehmen und bezahlen, führen wir eine mehr oder weniger intensive Beratung mit uns selbst durch, um Kosten, Guthaben, Wünsche und Bedarf abzuwägen. Dieses internalisierte Matching kann von Mensch zu Mensch und von Umständen zu Umständen sehr verschieden ablaufen. Manche müssen jeden Cent bedenken, andere sind davon weitgehend befreit. Auch in einer geldlosen Ökonomie werden nicht alle in jedem Fall von derartigen Abwägungen erlöst sein. Unerfüllte Wünsche wird es weiter geben, genauso unerfüllbare. Wir werden uns auch in einer Wirtschaft ohne Geld nicht alles beschaffen können, was uns unterm Geldregime verwehrt wird. Nur die Bedingungen und Abläufe werden sich ändern, und zwar gründlich und zum Besseren.
Ob mit oder ohne Geld, unsere persönliche Entscheidung ist immer in einem weiteren Informationskreislauf eingebunden. Unser Kauf sendet die Information, dass mehr vom gleichen Gut benötigt wird. Sie bündelt sich mit ähnlichen Informationen beim Händler und erreicht von dort die Produzenten. Parallel zum Fluss des Geldes und der Zahlungen gibt es immer noch einen zweiten Strom von Information, der steuert, wie Produktionswege organisiert und Güter verteilt werden. Das Matching dockt direkt an diesen zweiten Informationsfluss an.
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5. Wert
Ohne Geld gibt es keine Preise, jedenfalls nicht in dem herkömmlichen Sinn, dass auf beiden Seiten einer symmetrischen Transaktion dieselbe Ziffer aufscheint. Die Abbildung von Werten auf einen einzigen allgemein gültigen Maßstab hat sich erledigt. Das bedeutet nicht, dass in einer datenbasierten algorithmischen Ökonomie ohne Zahlen gerechnet wird. Die Frage ist nur, was sie zählen und an welcher Stelle.
Betrachten wir einen Moment, was Preise in der Geldwirtschaft meinen. Der Preis bildet idealerweise ab, auf was sich sämtliche an der Transaktion und an vergleichbaren Transaktionen Beteiligten geeinigt haben. Der abstrakte Ort dieser Einigung heißt Markt. Lokale Preise können vom Marktpreis abweichen, aber nicht zu sehr, sonst werden sie durch Arbitrage angeglichen. Werte dagegen gelten immer relational, also für jemand bestimmtes, zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort. Sprachlich findet dieses Verhältnis seinen Ausdruck, indem etwas einen Preis hat, aber einer Person soundsoviel wert ist. Im Wert bilden sich Bedürfnisse, Wünsche, Erwartungen und Aufwand ab. Am Markt bilden sich Preise. Matching bezieht sich immer auf Werte.
Der Matchingprozess hat als Input die Vielzahl unterschiedlicher Werte, die einer Transaktion von den verschiedenen Beteiligten her zugesprochen werden. Vergleichbar und verrechenbar werden sie nicht durch die Abbildung auf einen gemeinsamen Preis, sondern im Hinblick auf das Verhalten und die ökonomische Geschichte jeder und jedes Einzelnen. Am Ende steht nicht eine für alle verbindliche Summe, auf die man sich geeinigt hat, sondern die gemeinsame Entscheidung über eine Transaktion, also die Antwort auf eine Verteilungsfrage.
Da Werte immer für jemand gelten, können sie eine Reichweite haben. Das heißt, sie gelten für eine bestimmte Gruppe von Personen und bezogen auf einen bestimmten Moment oder einen Ort. Den einen allgemeinen Wert eines Dinges oder eines Gutes gibt es nicht. Stattdessen können wir grob drei Wertbereiche unterscheiden, die jeweils unterschiedliche Reichweiten repräsentieren.
Im kleinsten Radius, dem Mikrobereich, findet die Bewertung einer Transaktion in einer ganz bestimmten Situation und für eine bestimmte Person statt. Diese Art von Wert entspricht am ehesten unserer persönlichen Erfahrung und unserem alltäglichen Verhalten. Individuell und situativ bezieht sich dieser Wert auf unsere persönliche Stimmung und die augenblicklichen Befindlichkeiten.
Diese alltägliche Form der individuellen Bewertung wird unter dem Regime des Geldes durch einen messbaren allgemeinen Wert überschrieben. Dessen Allgemeinheit ist allerdings eingeschränkt und nicht allumfassend.
Gegenüber der Mikrodimension momentaner persönlicher Bewertung bildet die zweite Art von Bewertung eine mittlere Reichweite ab. Sie umfasst weder die Gesamtheit noch das Singuläre, sondern eine begrenzte Umgebung vergleichbarer und verknüpfter Transaktionen. Diese Bewertung ist damit am ehesten unserem Preis zu vergleichen, wie er sich am Markt bildet.
Über den mittleren Wertbereich hinaus lässt sich für die größte mögliche Reichweite eine Gesamtbewertung konstruieren, die sämtliche Externalitäten und künftigen Folgen miteinbezieht, also im Ideal den gesamten Globus für eine beliebig ausgedehnte Dauer. Damit entsteht ein Wert im Makrobereich größtmöglicher Nachhaltigkeit. Wir finden derartige Bewertungen heute etwa bei den Forderungen der Klimaschützer, die langfristigen Auswirkungen unserer Ökonomie stärker zu berücksichtigen.
Den verschiedenen Wertbereichen begegnen wir alltäglich. Nehmen wir etwa das Beispiel einer Reise. Angenommen ich würde gerne einen Freund besuchen, ohne dass es damit eine besondere Dringlichkeit hat. Wenn der Preis für den Flug an einem mir gelegenen Termin weit genug fällt, nutze ich die Gelegenheit und kaufe das Ticket, sobald mein persönlicher Mikrowert den Marktwert übersteigt. Müsste ich allerdings den »Nachhaltigkeits«-Wert mit einkalkulieren, würde ich wohl eher auf die Reise verzichten oder ein anderes Verkehrsmittel wählen.
In einer geldlosen Ökonomie können alle diese drei Wertbereiche in das Matching mit einfließen. Nicht in Form einer Gutmenschen-Geschmackskontrolle – »ihr sollt jetzt alle nachhaltigkeitshalber heute keine Lust auf Fleisch haben« -, sondern frei vermittelt, so dass also immer die Wahl »ist mir Wurst« bleibt. Der Unterschied zu heute läge vermutlich darin, dass der Makrowert nicht mehr wie derzeit üblich erst einmal ignoriert wird.
Tatsächlich ist die Entscheidung, wie der Matchingalgorithmus mit den Bewertungen umgeht, eine politische, da sie zwischen persönlicher Freiheit und allgemeinem Interesse vermittelt. Das betrifft den Umgang mit den drei Wertbereichen zentral, denn sie entsprechen einer politischen Entscheidung über das Verhältnis der Wertskalen.
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6. Tun statt Arbeit
Kaum ein Begriff wird so verworren gebraucht wie der der »Arbeit«. Das beginnt mit den »Arbeitern«, die heute »Arbeitnehmer« heißen, als würden sie etwas nehmen. Ihnen gegenüber stehen sogenannte »Arbeitgeber«, die ihnen etwas »geben«, als handele es sich um einen barmherzigen Gnadenakt. Tatsächlich geben die Arbeiter ihre Arbeit den Unternehmen, und diese geben ihnen dafür Geld. Zu der verdrehten politisch-ökonomischen Rhetorik gehört auch das Gerede vom »Schaffen von Arbeitsplätzen«. Wann immer davon die Rede ist, geht es so gut wie nie um das Wohlergehen der Arbeiter, sondern meistens um die Förderung von Unternehmen und die Verbesserung von Investitions-, sprich: Profit-Bedingungen.
Dem Neusprech von Investoren und Politik steht ein Altsprech auf Seiten der Linken gegenüber, das kaum weniger obskur daherkommt. »Arbeit« dient als politischer Kampfbegriff. Sie ist fest mit Ausbeutung, Herrschaft, Zwang und Erniedrigung verbunden. Die Aufteilung der Welt in ausgebeutete Arbeiter und den Mehrwert abziehende Ausbeuter beschränkt sich auf ein simples Schema von Gut und Böse. Dem ewigen Klassenkampf liegt dieser moralische Begriff der Arbeit zugrunde. Er besetzt damit eine ideologisch unverzichtbare Stelle. Nahezu dogmatisch gilt: wer arbeitet, muss leiden. Arbeit als Passionsgeschichte ruft ein urchristliches Motiv auf. Wer dagegen wagt, Gefallen an seiner Arbeit zu finden, macht sich als Häretiker verdächtig.
Die verquere politische Rhetorik der Arbeit erstreckt sich über die Gegenwart hinaus auch auf die Zukunft. Künstliche Intelligenzen, Algorithmen und Roboter werden uns unsere Arbeit wegnehmen, heißt es. Laufend kommen neue Listen bedrohter Berufe auf. Als wären automatisierbare Tätigkeiten etwas, das wir vor den Maschinen retten müssten. Aber brauchen wir wirklich den Beruf des Lastwagenfahrers? Was ist mit der Wäscherin, die die Kleider von Hand im Fluss wäscht und deren Beruf von der Waschmaschine vernichtet wurde? Warum nicht zurück zu den menschlichen »Computern«, vornehmlich Frauen, die einst in Großraumbüros von Hand Berechnungen durchführten?
Es macht keinen Sinn, den Maschinen automatisierbaren Arbeiten zu verwehren, nur damit Menschen ihre Jobs – meistens miserable dazu – behalten können. Das Problem liegt nicht in der Ausbreitung der Maschinenarbeit, sondern in der Unfähigkeit des ökonomischen Regimes, den Nutzen der Automatisierung gerecht zu verteilen.
Seit der Erfindung der ersten Werkzeuge haben Menschen immer mit Technologien zusammengearbeitet und an deren Rändern neue Aufgaben gefunden. Das wird sich bei den sogenannten intelligenten Maschinen nicht ändern. Welche Arbeiten in Zukunft von Maschinen und Bots übernommen werden, ist in einer geldlosen Ökonomie unerheblich.
Für jede Aufgabe, die wir einem Automaten überlassen, entstehen in dessen Umfeld wieder neue Tätigkeiten. Die Idee, dass Maschinen uns Arbeit wegnehmen, begeht den Fehler, vom einzelnen Ereignis auf eine künftige wirtschaftliche Gesamtheit zu schließen. Würden sämtliche Aufgaben automatisiert und alle Arbeiter entlassen, hätten wir am Ende eine Armee von Robotern, die zwar alles anbieten, aber für nichts Abnehmer finden, da niemand genug verdient, um es sich zu leisten. Das wird so nicht eintreffen. Nicht einmal die Spirale der Entwertung von Arbeit, wie sie die Übergangsphase kennzeichnet, kann sich endlos weiter drehen, ohne auf den Widerspruch einer Welt zu treffen, in der es alles gibt, aber niemand etwas hat.
Derzeit bilden sich zwei Kategorien von Arbeit heraus, unter der Maschine oder über der Maschine. Im ersten Fall arbeiten wir den Maschinen zu und treten mit ihnen in einen fatalen Wettbewerb. Der Lohn dafür konkurriert mit den Kosten der Maschinen und reicht daher nicht zum Leben. Die Lösung, Menschen zu subventionieren, etwa über ein sogenanntes Grundeinkommen, würde nur dazu führen, sie weiter zu unterbezahlten Arbeiten nötigen, die eigentlich Maschinen erledigen könnten.
Im anderen Fall, der Arbeit über der Maschine, dürfen die Menschen, die die Maschinen steuern, Teil der schrumpfenden Mittelklasse bleiben. Diener sind diese Arbeiter ebenfalls, nur eben der Investoren.
Das Eigentum der Produktionsmittel, das im klassisch industriellen Schema die Macht über die Maschinen und damit die Arbeit gebracht hat, wird unter den Bedingungen globaler Netzwerke von einem anderen Privileg abgelöst. In der neuen digitalen Ökonomie treten die Plattformen an die Stelle der Produktionsmittel. Da dem Netzwerkgesetz zufolge das größte Netzwerk immer das attraktivste ist, bildet sich für jede Funktion ein Monopol, immer auf eine Aufgabe beschränkt – Suchmaschinen, Verkaufsplattformen, Freundeskreise, Bilderzirkel. Der größte Anteil an den Gewinnen fällt den großen Netzwerken zu.
An deren Monopolen wird der Verzicht auf das Geld wenig ändern. Diese Frage muss anders gelöst werden. Aber selbst wenn der tendenziell monopolistische Charakter unter den Bedingungen einer geldlosen Ökonomie erhalten bliebe, würde doch die Gewinne mangels Geld nicht mehr im selben Maß anfallen.
In einer geldlosen Ökonomie tritt an die Stelle der klassischen Arbeit eine andere Aufteilung unserer Tätigkeiten. Arbeit ist von dort aus gesehen nichts anderes als eine historisch durch die Industrialisierung hervorgebrachte Organisationsform menschlichen Tuns, und zwar unter Geldbedingungen.
Um künftige »Arbeit« zu untersuchen, müssen wir beim dem abstrakten Oberbegriff des »Tuns« im allgemeinen ansetzen. Wir tun die meiste Zeit etwas.
Was unsere Tätigkeiten betrifft, genügt es fürs erste, zwei Arten des Tuns zu unterscheiden, relationale und nicht-relationale. Ob etwas, das wir tun, relational wird oder nicht, hängt von den anderen Nutzern ab, nicht von uns selbst. Einfach irgendetwas zu tun, heißt noch lange nicht, dass dieses Tun auch einen Wert bekommt. Erst im Gebrauch durch andere erweist sich eine Tätigkeit als relational und sinnvoll. Die Relationen haben dieselbe Struktur wie Links. Sie zeigen auf etwas, und darin liegt schon eine Bestätigung. Wenn jemand auf einen Link klickt, ist damit eine Art von Wert der Information bereits anerkannt. Wenn etwas gebraucht, weitergeleitet oder verwertet wird, stellt sich eine Relation her. Erst diese Relation gibt dem Tun einen Wert.
Welche Beziehung unser Tun hat, bestimmt dessen ökonomische Position. Wenn viele Leute eine Nachricht lesen, beziehen sie sich darauf. Dadurch gewinnt die Nachricht Wert, aber auch die Lektüre als eine Form der Wertschöpfung. Es ist erst die erfolgreiche Relation, die eine Tätigkeit in ein ökonomisches Verhältnis bringt.
Wie lässt sich eine solche relationale Tätigkeit bewerten? Hier gilt analog das, was unter dem Stichwort »Wert« gesagt wurde. Die Position und der Vektor in einem Netzwerk machen den Wert aus. Das gilt gleichermaßen für Dinge, Informationen oder Tätigkeiten.
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7. Dinge und Daten
Viele Dinge sind bereits von Daten umgeben. Das betrifft nicht nur Informationen über die Dinge, sondern auch Dinge, die durch Daten miteinander reden und über ihre Umwelt Bescheid wissen. Die Zeit der gedankenlosen Objekte nähert sich ihrem Ende. Das hat eine Reihe von Konsequenzen, sowohl für den ökonomischen Status der Dinge als auch für den philosophischen.
Als Ding gilt hier jedes Objekt im Sinn objektorientierter Programmiersprachen – also nicht nur materielle Dinge, sondern auch Ereignisse, Lebewesen, Schnittstellen, Archive, Daten (ja, es gibt auch Daten über Daten) oder auch Protokolle und Verbindungen. Der Begriff »Ding« passt besser als der des »Objekts«, da Ob-jekt direkt übersetzt Gegen-stand meint, also etwas uns Gegenüberstehendes. Die Dinge aber gibt es ohne uns. Das ist ein entscheidender Punkt, wenn es um denkende Dinge geht.
Handelnde Dinge erzeugen eine Wirklichkeit, die unsere klassische sprachorientierte Epistemologie herausfordert. Der Mensch verliert das alleinige Privileg, die Welt zu erkennen und in ihr zu wirken. Manche der denkenden Dinge werden uns noch Auskunft über ihre Wirklichkeit geben, andere tun einfach, was sie für richtig halten. Indem sie handeln, nehmen sie an der Ökonomie teil. Sie werden damit zu Akteuren im Wirtschaftsleben, nicht unbedingt gleich berechtigt und mit eigenem Parlament, sondern ding-bezogen mit den ihrer Wirklichkeit angemessenen Rechten.
Die Dinge werden klug werden, also nicht mehr nur einfach mehr wissen als wir selbst, sondern auch miteinander reden und aus den durch Kommunikation und Handeln bezogenen Kenntnissen ihre Schlüsse ziehen. Ihr Handeln und ihre Entscheidungen könnten uns helfen, die im Geld eingeschrieben Warenform zu überwinden. Statt dem Produktcharakter, der uns heute als so wichtig erscheint, treten die Prozesse und Tätigkeiten hinter den Dingen hervor.
Programmtechnisch gesagt: die Funktionen werden wichtiger als der Datentyp. in philosophischer Hinsicht treten Prozesse an die Stelle des Seienden, Funktionalismus statt Ontologie. Es interessiert nicht, was etwas ist, sondern was es tut. Mag sein, es handelt sich dabei um eine vage theoretische Hoffnung, aber an manchen Stellen lässt sich der Wandel bereits beobachten. Betrachten wir die Veränderungen an drei Beispielen: an Datendingen, an Autos und am Haus.
Im Umgang mit Datenobjekten kehren sich einige Grundannahmen der bisherigen Ökonomie um. Daten lassen sich beliebig oft und ohne Kosten kopieren. Aufwand fällt also nur bei der Herstellung an, egal ob es sich um einen Film, ein Buch oder ein Stück Musik handelt. Reproduktion und Distribution sind umsonst. Davon waren zuerst kulturelle Dinge betroffen, insofern sie aus Daten bestehen und weder ein bestimmtes Material noch die Präsenz von etwas oder jemandem erfordern.
Um das herkömmliche, auf materieller Reproduktion beruhende Vermarktungsmodell nicht zu verlieren, wurde zuerst der freie Zugang zu den Daten verstellt. Eine ganze Reihe von technisch vollkommen angemessenen Zugriffsformen – download, streaming etc. – wurden kriminalisiert, um die Knappheit der vordigitalen Waren künstlich zu erhalten. Mittlerweile setzen sich Plattformen durch, die gegen eine monatliche Gebühr einen vereinfachten Zugriff erlauben. Um ihren Service verkaufen zu können, sind sie nach wie vor darauf angewiesen, die freie Weitergabe wenigstens zu erschweren.
Das Paradox liegt darin, dass der einzig sinnvolle Gebrauch von Kultur, nämlich die Rezeption, nicht schon selbst als wertschöpfend gilt. Dabei liegt der eigentliche Sinn eines Textes darin, gelesen zu werden, einer Musik, gehört zu werden, und eines Kunstwerks, gesehen oder sonstwie wahrgenommen zu werden. Der geldförmige Umgang mit Kultur nötigt uns geradezu dazu, Kulturprodukte gegen ihren eigentlichen Zweck zu behandeln. In einer geldlosen Ökonomie kehrt sich dieses Verhältnis um. Ein Werk wird dann umso wichtiger und erhält umso mehr Wert zugesprochen, je öfter es »gebraucht« wird.
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11. Der Übergang
Es braucht keine Revolution, um das Geld loszuwerden. Vermutlich geschieht es von alleine. Vielleicht werden wir den Übergang zuerst nicht einmal bemerken. Schon heute spricht viel dafür, dass der Wandel bereits im Gang ist. Wir sehen es nur nicht, weil wir noch nicht begriffen haben, was im Kommen ist.
Dass ein Umbruch und die Begriffe, in denen er beschrieben wird, zeitlich auseinander fallen, ist nicht weiter ungewöhnlich. Erst ändert sich etwas und nur viel später, wenn wir beginnen zu verstehen, was geschehen ist, finden wir dafür die richtigen Worte.
Im Kapitel über Medien war von den zwei Phasen eines Medienwandels die Rede, eine erste Phase, in der alte Praktiken in neuen Medien imitiert werden, und eine zweite Phase, in der sich eigene Ästhetiken und Formate herausbilden. Diese zwei Phasen betreffen auch die Begriffe, in denen wir unsere Umwelt und deren Wandlungen beschreiben und beobachten.
In der ersten Phase bleibt es bei den alten Begriffen. Neue Technologien und ihre Erscheinungsformen werden in Metaphern der Überforderung beschrieben, als »Flut«, als »Risiko«, als »Herausforderung«. Das Vokabular benennt das Neue nicht, sondern bildet es als Gefahr auf das ab, was wir schon kennen. Die Haltung bleibt abwehrend, defensiv, skeptisch und furchtsam.
Die zweite Phase bringt eine Reihe von Begriffen hervor, in denen die neuen Praktiken ihre eigene Beschreibung erfinden, ohne aber zu den vorherigen Betrachtungsweisen vermitteln zu können oder ein größeres historisches Verständnis der Zusammenhänge zu schaffen. In den letzten Jahrzehnten hat sich für das Markieren eines Wandels die Vorsilbe »post-« eingebürgert, obwohl damit nichts weiter als das Fehlen eines adäquaten Begriffs ausgesagt wird.
Die gültige Beschreibung des Wandels bildet sich erst am Ende der zweiten Phase heraus, nämlich dann, wenn man von einer etablierten neuen Praxis aus rückblickend der Lauf der Dinge betrachtet. Was als Wahrheit gilt, entscheidet sich nicht daran, ob es zutrifft, sondern ob es von der richtigen Seite der Geschichte her gesagt wird. Die Vergangenheit muss immer wieder erfunden werden. Erst im Nachhinein berichtet die gültige Erzählung aus der Perspektive, die sich durchgesetzt hat, also im Sinn der dominierenden sozialen Praxis in einem medial und technisch determinierten Feld.
Derzeit befinden wir uns in der ersten Phase des Übergangs, mit Aussicht auf Phase zwei. Noch müssen die Sprache und die Begrifflichkeit erst erfunden werden, um später zu beschreiben, was heute vor sich geht. Alles was jetzt gesagt wird, wird sich daher im Nachhinein als fehlerhaft, obskur, romantisch entrückt oder verschroben lesen. Genau das aber macht den Reiz der Spekulation aus. Es bleibt uns daher fürs erste keine andere Wahl, als in diesen hermeneutischen Kreisverkehr gegen Fahrrichtung einzubiegen.
Am deutlichsten sehen wir die Anzeichen der Ablösung des Geldes heute im Verhältnis von Daten zu Preisen. Je genauer die Daten sind, über die wir verfügen, desto unwichtiger wird das Signal der Preise und die Information, die sie überhaupt noch generieren.
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Dass wir uns schon mitten im Übergang zu einer non-monetären Ökonomie befinden, sehen wir nicht, weil wir unseren ökonomischen Alltag noch nicht anders als im Medium Geld wahrnehmen können. Es gibt Praktiken, die in der Hinsicht weiter sind, Freundeskreise in Social Media-Plattformen oder Clans in Computerspielen, aber auch sie ahnen noch kaum, dass sie auf dem Weg zur Abschaffung des Geldes sind.
Dieser Textauszug aus Heidenreichs Buch Money erschien im transmediale journal – face value edition. Die Printausgabe des Journals ist hier erhältlich.