Geschichte von Video in Frankreich. Von Jean-Paul Fargier

03.03.2017

Geschichte von Video in Frankreich. Von Jean-Paul Fargier

Die Geschichte von Video in Frankreich? Drei Momente: Die Fiauptepoche des militanten Videos (1969-1978), das Mittel- alter der Videokunst (1978-1986) und der Boom von "vidéo création" (1986-1992), Ich habe sie alle durchlebt, kann also nur sehr subjektiv über sie sprechen - nicht als Flistoriker, sondern als ehemaliger "Kriegsteilnehmer", denn Video war (und ist?) gleichbedeutend mit Kampf.
1. Die heißen Stunden des militanten Videos.
Video existiert als Kunst seit 1963 (in Deutschland). Ich mache seit 1969 (in Paris) Videos. Am Anfang mit der Kamera von Jean-Luc Godard, die Alain Jacquier, der "elektronische Schlepper" von JLG, der Gruppe Cinéthique, zur Verfügung stellte, danach ab 1973 mit dem "Porta-Pack" der Video-gruppe von"Cent Fleurs". In dieser Zeit war Video oft eine Sache von Paaren... Es gab Paul und Carole Roussopoulos, die Lefebvres, Paule und Gary Belkln, Hélène Châtelain und Armand Gattl Chi! Bolsculllé und Patricia Moraz, Anne Papillault und Jean-François Dars (genannt die Loulous, etwa: "die Flalbstarken"), Catherine Lahourcad© und Syn Guérin, Charlotte Sllvera und Hervé Llotard, etc... Das Selbstverständnis von Video drehte sich um die Kunst, engagiert in seiner Zeit zu leben und zu handeln: Ökologie, Linksextremismus, Feminismus, Antipsychiatrie, oppositionelle Gewerkschaften, sexuelle Befrei-ung waren die Schlagworte der Epoche. Mai 1968 lag nicht lange zurück und der Elan die-ses verrückten Frühlings war noch allgegenwärtig. Der Maoist Godard zeigte, wie man es macht: Er predigte Video wie Sankt Bernhard den Kreuz-zug. Manche hörten seinen Ruf und ließen alles zurück wie der heilige Peter seine Netze beim Ruf Jesu. Der Anarchist und Professor für Physik an der Uni-versität Toulouse José Martinez vernahm an jenem Ort die Verkündigung des Godard und kaufte 1971 seinen ersten Videorecorder. Fleute leitet er mehrere AV-Unternehmen (eines davon arbeitet für Airbus). Zahlreiche Institutionen waren den gleichen Einflüssen ausgesetzt, erlagen der gleichen Anziehung und warfen sich in den Videokampf. Die CACs, die MJCs, die MCs etc. (kulturelle Aktionszentren, Jugendzentren und kommunale Kulturzentren) produzierten Bänder, oft zusammen mit eigenartigen Persönlichkeiten: Revoltierenden Oberschülern, wütenden Frauen, gay-fröhlichen Schwulen, stolz bekennenden Abtreibenden, Sängerdissidenten, religiösen Überläufern, Barfußärzten oder glücklichen Arbeitslosen. Pierre Muller in Orléans, Thierry Nouel in Annecy, Jean-Pierre Limosin und Alain Bergala in Yerres und Daniel Ronsard in Cergy-Pontoise traten in diesem Epos von Basis und Gipfel hervor. Sie alle begegneten sich im September 79 bei einem Symposium mit dem Titel "Vidéo du Jour". Zweifelsohne, da in Kürze die Nacht für diese Praktiken anbrechen würde. Erste Erinnerung: (meine "primitive elektronische Bühne") Frühling 69. Godard und der Maler Gérard Fromager knien auf dem Tep-pich von Jean-Lucs Wohnung in der Rue Saint-Jacques und fummeln an den schwergän-gigen Knöpfen des Sony 2100 (40 Minuten Spielzeit, 1/2-Zoll, schwarz-weiß) herum und versuchen einen Schnitt zustande zu bringen - damals nur mit schweren technischen Fehlern, Zusammenbruch des Signals und Zickzack-Schnee möglich. Godard und Fronnager nehmen die Reden der Präsidentschaftskandidaten im Fernsehen auf (De Gaulle war nach der Niederlage bei einem Referendum zurückgetreten) und spicken sie mit kritischen Gegenschüssen. Eine andere Erinnerung: Schnittprobleme. Es gab die Anhänger der Scherenmethode (man zerschnitt das Band und klebte es mit silbrigem Klebe-band). Die Verfechter der Blei-stiftme- thode brachten eine Markierung auf dem Band an, welche den Moment bestimmte, in dem man auf die "Record" Taste drücken mußte, nämlich kurz bevor die Markierung am Aufnahmekopf vorbeilief. Dann waren da noch die Verteidiger der Zeitmeßmethode. Es handelte sich darum, im voraus akustische Orientierungspunkte auf jedem Videorecorder zu finden und die Zeit zwischen allen diesen Punkten auszu-mes- sen, dann jeden Recorder an diesen Punkten anzuhalten und sie einen nach dem ande-ren in Abhängigkeit von den Zeitunterschieden zu starten, so daß die beiden Bänder sich zeitgleich am Ende einer und am Beginn einer anderen Einstellung befanden. Verstehen Sie? Nein! Macht nichts. Sie brauchen sich nur zu merken, daß wir echte Helden waren. Als die U-matic Schnittplätze mit ihrer so einfach zu hand-ha- benden und so genauen (zwei Bilder) Steuerung kamen, fühlten wir uns verraten, vergleichbar den Webern von Lyon beim Aufkommen der Jacquardmaschine. All das Wissen, welches mit einem Mal unnütz wurde! Das "Schubkarrenvideo" (man transportierte die Ausrüstung von Vorführort zu Vorführort), die Zeit der militanten Gruppen waren mehr oder weniger zu Ende. Obwohl dieser Übergang nicht abrupt kam, Zeit erforderte, obwohl die "Videogruppen" sich U-matic Ausrüstungen beschafften, obwohl sie immer zahlreicher und vorübergehend immer feministischer wurden (Vidéa, Les Insoumises, Nom- brelles, etc,), obwohl sie Vertriebsnetze zu organisieren versuchten (Vidéo Ciné Troc oder Mon oeil), kündigten sich die 80er Jahre an, und mit ih-nen der für sie typische Individualismus. Als Amme-Mari© Duguet ihr Buch"Vidéo, la mémoire au poing" ("Video, das Gedächtnis in der Faust") veröffentlichte, war diese Ge-schichte praktisch abgeschlos-sen und ihr Buch unersetzlicher, endgültiger Zeuge.
2. Das Mittelalter der Videokunst
Die Videokunst hat in Frankreich ohne Vorwarnung begonnen (einzig vielleicht der Ruf "ACHTUNG SOZIOLOGIE !" künstle-ri- scher Soziologen vom Schlage eines Fred Forest, die sich einen feuchten Kehricht um "schöne Bilder" scherten - weshalb sie auch nie echte Videokünstler waren). In ihren Anfängen war die Videokunst in Frankreich zurückhaltend, experimentell und vertraulich. Sie verkündete nicht markt-schreie- risch, daß sie die Welt revolutionieren würde. Nicht einmal die Kunstwelt. Sie be-gnügte sich damit, hier ein Stückchen Fernsehen und dort einen Museumskorridor zu er-obern. Beim INA (einer "Unter-präfektur" des Französischen Fernsehens) und der ENSAD (Ecole Nationale des Arts Décoratifs) hatte sie Ende der 70er Jahre ihren ersten Auftritt. Das Institut National de l'Audiovisuel (INA), welches die Nachfolge des (vom "konkreten" Musiker Pierre Schaeffer gegründeten) Service de la Recherche angetreten hatte, verfügte über einige, oft zu-recht- gebastelte Instrumente wie den "Truqueur universel" von Couplgmy (vergleichbar dem von Palk/Ab© zur gleichen Zeit erfundenen Synthesizer) und recht komplexe Steuerpulte, die gute Mischungen ermöglichten. Einige Künstler (wie der Musiker Robert Cahen, ein ehemaliger Schüler von Schaeffer) bekundeten ihre Absicht die Geräte zu nutzen. Man sagte ihnen zu. So ent-standen die ersten Bänder von Robert Cahen, Dominique Bellolr, Patrick Prado, Thierry Kuntzel, François Pain und von Yann Nguyen Mlnh. Die ENSAD berief Donald Foresta als Professor für Video, einen jungen ehemaligen amerikanischen Diplomaten, der in den USA als Student die ersten Vorführungen von Palk, Ems- hwlller, Vasulkas und Campus and Co. verfolgt hatte. Er schlug vor, die ENSAD mit ihren Mitteln den Experimenten des INA anzuschließen. So, wie man von Alain Jacquier als Schlüsselfigur und "Schlepper" der ersten Entwicklungsepoche von Video in Frankreich sprechen kann (Jacquier arbeitete mit Schaeffer und Couplgny beim Service de la Recherche, dann mit Godard und später mit Studenten der Ecole des Beaux Arts de Paris, wo er das erste Videostudio aufbaute), repräsentiert Don Foresta den Dreh- und Angelpunkt der zweiten Periode. Im Centre Américan am Boulevard Raspail, wo er sich um die Medien kümmerte, führte er jeden Monat die besten Arbeiten der besten amerikanischen (manchmal auch deutschen, englischen und kanadischen) Videomacher vor. So kamen die zukünftigen französischen Videokünstler in Kontakt mit den Pionieren der Videokunst (Palk, Enmsh-wll- ler, Sweemey) und den Stars der zweiten Welle (Viola, Sam- born-FItzgerald, Logue, Dow- m©y, Hill). Nam Jum© Palk kam jährlich und veranstaltete Seminare. Etwa fünfzig von uns genossen hingebungsvoll seine Bilder. Sehr erregt wollten wir es ihm gleichtun. Durch die Begegnungen im Centre Américain lernten sich alle französischen Künstler untereinander kennen (Nlslc, Longuet, Prado, L© Tacon, Orlan, Lobstein, Ikam, etc.) und bauten Strukturen zum unabhängigen Vertrieb auf. Es war die "Belle époque" der Orte wie "Video ABI" In Saint-Germain des près, wo Jaffren-nou und Bousquet den Raum zwischen zwei Video-Theater-Stücken nutzten, um den Fran-zosen "die Franzosen" vorzustel-len. Der Vertrieb wurde über "Grand Canal" unter dem Vorsitz von Dominique Bellolr zentralisiert. In einem Kino, dem Studio 43, geleitet von Dominique Palnl, dem gegen-wärti- gen Direktor der Cinéma-thè- que Française, gab es täglich eine Videovorstellung. Die Cahiers du Cinéma baten mich, meine Chroniken über das elektronische Milieu zu intensivieren. Im Jahr 1980 ent-stand das Festival von Mont-béliard. Alain Sayag +lud Maler und Schriftsteller ein, im Centre Pompidou mit Video zu arbeiten. Bob Wilson stellte Im Beaubourg ”Vidéo 50“ her, eines der zehn wichtigsten Werke, die jemals auf Video produziert wurden. Die Flauptrolle in dieser Periode spielte das Musée d'Art Moder ne de la Ville de Paris und sein ARC (Atelier de Recherches Contemporaines), wo Suzanne Pagé auf Initiative von Dany Bloch zahlreiche Videovorführungen organisierte: Performances (u.a. von NH Voller und Nicole Crolset), Installationen (Patrick D© Geetere, Jean-Michel Gautreau), persönliche Aus-stellungen von Palk und später von Viola. Dany Bloch stellte den zweiten Pol der Geburt des französischen Kunstvideos dar. Sie machte das Beste aus der Wirkung der Expo 1974, denn es ist eine Tatsache, daß die Einsetzung von Video in museale Würden 1974 im Musée de l'Art Moderne de la Ville de Paris stattfand - u.a. mit der Präsentation denkwürdiger Installationen von Nam June Palk und dem Videomotorrad von Roland Baladl ("mit den Straßen dieser Stadt schreibe ich Paris") wurde Video in den Kunststatus erhoben. Das Fernsehen fing an über Videokunst zu berichten, zu nächst anläßlich der Pariser Biennale. Nach der Produktion einer Reihe von fünf Sendungen über Video in Amerika im Jahre 1979, die 1980 ausgestrahlt wurde, gelang es der Regisseurin und Videokünstlerin Catherine Ikanm (deren riesige Videoskulptur nach dem "Menschen" Leonardo da Vincis das Centre Pompidou zu seiner Eröffnung realisiert hatte) im TV-Sender Antenne 2 eine regelmäßige Sendung, Vidéo 2, zu bekommen. Diese Sendung verschwand im Zuge der Umgestaltungen nach der Machtübernahme der Sozialisten im Jahr 1981, als das Fernsehen in jeder Hinsicht verändert wurde. Sie wurde bald durch andere Programme ersetzt, in denen Video einen Platz fand: "Juste une image" (von Thierry Garrel beim INA für Antenne 2 produziert), "Vidéo plaisir" und dann "Avance sur image" (von Ex Ni- hilo für Canal+ produziert). Die Zahl der Produktionszentren nahm rasch zu. Einige "maison de la culture" (lokale und regionale Kulturzentren) schafften Ausrüstungen zur Videoproduktion an. Im Centre Pompidou zeigte man mit Erfolg den Vidéo Circus von Michel Jaffrem- nou (der sich inzwischen von Bousquet getrennt hatte - es war die Zeit der Trennungen). Christine van Assche, die Alain Sayags Nachfolge angetreten hatte, nutzte die Dynamik des Augenblicks und ließ den Franzosen Thierry Kuntzel und von Zeit zu Zeit einen ausländischen Künstler mit den Mitteln des Centre Pompidou eine Installation realisieren: Marcel Odenbach, Tony Oursler und Gary Hill nutzten den weit gesteckten Rahmen, Das war nicht viel - aber gut. Jaffrennou zog nach La Villet- te, um Vidéopérette zu machen. Das Festival von Montbéliard wurde von Jahr zu Jahr wichtiger, so daß man ihm bald den Spitznamen "Video- Cannes" gab. Festival für Fernsehen und Video, Video und Fernsehen - der Erfolg von Montbéliard fiel zusammen mit der Infragestellung der Konzeption "Kunstvideo" zugunsten der Bezeichnung "vidéo création". Parallel dazu entstanden andere, spezialisiertere Festivals: Hérouvllle konfrontierte Video mit Bildender Kunst, Clermont- Ferrand betonte die Installa-tio- nen, Montpellier wechselte abrupt die Richtungen, Estavar (oh schönes Katalonien!) suchte noch seine Bestimmung und Manosque zwinkerte Marseille zu. Man weiß nicht, wann diese Periode genau endete. Ich habe das Jahr '86 angedeutet. Ich dachte an das "Datum", welches die Ausstellung "Ou va la vidéo" (Wohin bewegt sich Video) darstellt, deren Katalog von den Cahiers du Cinéma herausgegeben wurde. Nach '86 brach für uns offensichtlich eine neue Periode an, die jedoch wahrscheinlich schon vor langem begonnen hatte. Man könnte sich sogar die Frage stellen, ob die Videokunst in Frankreich wirklich existiert hat - wenn man unter ihr die Gesamt heit der Werke der Pioniere versteht, derjenigen, welche die Sprache von Video entwickelt haben. In Frankreich hat sich Video sofort dem Spektakel zugewandt, nach dem Fern-se- hen geschielt, dem Museum gegenüber geschmollt, sich spielerisch, poetisch, symbolisch oder quasi-filmisch entwickelt. Strukturelle Etüden wie bei Va- sulkas, Viola, Falk und EmshwII- ler lassen sich kaum herausfiltern: Man ahnt sie bei Kuntzel, findet eine Andeutung bei Fies- chl, eine Krume bei Bellolr, ein Fädchen bei Nlslc. Prado, Cahem, Jaffremmou, Ja- ©ggi, Bourges, Llgeon, Gau- treau, Handschutter, De Geetere, Barbier, Ugollnl, L© Tacom, Longuet, Nguyen Mlnh, Lefdup, Truffaut und Fargler
sogar Fargler - keiner von ihnen ahnte, daß ihr Medium sich am tiefsten Punkt der Spitze einer Sprache im Rohzustand befand. Sie gingen lieber erhobenen Aufnahmekopfes ans Eingemachte, ans künstlich-künstlerisch Eingemachte. Und sie begannen SCFION "vidéo- création" zu machen, das heißt auf jenes große elektronische Spiel aller Richtungen und Sparten zu setzen, mit ihm das Fernsehen im Sturm zu erobern. Nach und nach haben sie alle diese Bastionen genommen.
3. Alte Monde und junge Sonnen der "vidéo création"
Die kleine Machtübernahme im Fernsehen durch Video-ma- cher, die alle möglichen und erreichbaren Genres zu erneuern versuchten, machte das aus, was man "vidéo création" nennt. Diese Entwick-Iung begann in Frankreich eini-ge Zeit vor '86 mit den ersten Ausgaben von "Juste une image", den ersten Video-Clips, und Kurzprogrammen (Wilsons Videospots, Jaffremnous erste "vidéo flashes" und später sein Jim Tracking). Man muß hinzufügen, daß Monfbéliard niemals ein echtes Videokunstfestival war: von Anfang an, also 1980, drängte sich die Idee einer er weiterten "création" (Schöpfung) auf. Drei Männer sind die Schlüsselfiguren dieser Periode: Thierry Garnmel, der zunächst im INA-Magazin auf Antenne 2, und, nachdem er zu La Sept gewechselt hatte, in den Programmen dieses Senders für einen hohen Anteil von Video sorgte. Er beschränkte die "création vidéo" nicht auf Video-Clips und Mantel der Sendungen, sondern zeigte Cros- sings and meetings (30 Minuten) von Ed Ennshwlller, Der Riese (75 Minuten) von Michael Klier, / do not know what it is I am like (90 Minuten) von Bill Viola ebenso wie Grimoir magnétique (30 Minuten) von Joëlle de La Caslnlère, das er 1981 beim INA als Produzent betreut hatte. Patrick Sobelmam, dessen Betrieb Ex Nihilo (gegründet gemeinsam mit und geleitet von Hervé Nlslc) enorm viel Werke der "vidéo création" produziert hat (in erster Linie, aber nicht ausschließlich für Canal+), entdeckt jedes Jahr junge Talente (Caro, Trl- vedlc und besonders Cécile Babiole). Sobelman ist eine seltene Erscheinung: Ein wirklicher Produzent, der über die Grundlagen und über die formalen Aspekte all seiner Projekte zu diskutieren versteht. Er erkundet unermüdlich die Sender, um Vorschläge unterzubringen, die man durch ihre Sorgfalt der Form erkennt. Seine beiden Haupttrümpfe, die Stars des Hauses, sind Jaffrennou (dessen Aktivitäten seit Vidéopérette, einem sagenhaften elektronischen Spektakel, von Sobelman produziert und organisiert werden) und Zblgmlew RybzymskI, dem größten Erfinder von Formen seit Falk (Sobelman produzierte sein La quatrième dimension und L'Orchestré). Jean-Marie Duhard, der seit der Mitgrün-dung des Festivals von Montbéliard zum Kulturaktivisten geworden ist und seitdem ohne Unterlaß für die Verbreitung des Begriffs "vidéo création" gearbeitet hat Durch die Unterstützung von Aufführungen (besonders der von Jaffrennou), die Produktion von Installationen, der Koproduktion von Bändern, die Leitung von Sendungen(Avance sur image beruht ganz auf ihm), seine Aktivitäten in Montbéliard, bei Canal+, in Hérouvil- le Saint-Clair und bei Ex Nihilo, ist er ein unverzichtbarer Berater geworden. Er kennt alle Künstler (die aus Frankreich und aus anderen Ländern) und versteht es taktvoll und doch offen mit ihnen zu sprechen. Seit wenigsten fünf Jahren treibt er das Projekt einer Maison de la Vidéo mit dem Ziel voran, in Paris alles, was seit den Anfängen von 'Vidéo-création" gemacht worden ist, zu archi-vie- ren und in zyklischen Ausstellungen zu zeigen. Das verbleibende Material soll frei zugänglich sein. Und ohne Zweifel wird das Projekt 1993 in La Villette Realität werden. Wie könnte man diese letzte Periode noch charakterisieren? In ungeordneter Reihenfolge zum Beispiel so: Es handelt sich um die Epoche der zahlreicher werdenden Robert Cahen-Retrospektiven in der ganzen Welt, der Entdeckung von Pierre Trlvldlc, durch den man seinen Lehrer Jean-Chrlstophe Averty wiederentdeckte. Hérouville widmete ihm eine Retrospekti-ve, Anne-Marl© Duguet ein Buch (Verlag Dis Voir) und eine Ausstellung (im Espace Electra), Es ist die Epoche in der Godard Edgar Allan Poe für das völlig verständnislose Telekom-Ministerium auf Video adaptiert (Puissance de la parole), in der Jean-François Neplaz mit Ante inferno auf sich aufmerksam macht, Paul VIrillo als Vordenker des neuen elektronischen Zeitalters unentbehrlich wird und brillant neue Wege in Fortführung der von Mcluhan geöffneten Pfade baut, Montbéliard sich mit dem unermüdlichen Pierre Bonglovannl (der Schlüsselfigur der vierten Periode, so sie denn kommt) an der Spitze in ein internationales Zentrum von "vidéo création" wandelt: Künstler schauen vorbei, einige bleiben und wirken in aller Freiheit (Sara Kohut, Alain Bourges, De Geeter© und Cathy Wagner, ein weiteres Video-Paar, Jean-Luc lag- arce, Neplaz, Curnler, Larcher, Batsry etc.). Und es war die Epoche, in der dank Heure Exquise! J.F. Hutton spät, aber doch noch entdeckt wurde. Denn es war auch die Epoche, nein Stunde, von Heure Exquise!. Dieses lokale Vertriebskollektiv aus Mons-en- Baroeul, einer Vorstadt von Lille, verwandelte sich erst in eine regionale, bald darauf natio-naie Vertriebsorganisation, um sehr schnell einen internationa-len Rang zu erlangen, der dem berühmten und historischen "Electronic Art Intermix" aus New York gleichkommt. Nach und nach vertrauten alle Videomacher, auch die von Grand Canal, ihre Bänder diesen außergewöhnlichen Nordlichtern an, deren Freund-lich- keit, Hingabe und Humor die Videolandschaft völlig ver-ändert haben. Seit diesem Zeitpunkt befindet sich die Hauptstadt des französischen Videos nicht mehr in Paris, nicht in Montbéliard, sondern dort oben, nahe der belgischen Grenze.
Die größte Zahl neuer Bänder kann man in Mons en Baroeul entdecken. Beim Blättern im Katalog von Heure Exquise! wird einem klar, daß es in Frankreich wirklich eine neue Generation von Videomachern gibt. Videomacher, die im allgemeinen im Schatten der Kunsthochschulen heranwuchsen (César Vaysslé und Lydie Jean-Dlt- Panmel in Dijon, Nicolas Denise und Jean-Paul Labro in Bourges, Laurent MIgnonneau in Angou- lême, Christophe Aragona in Saint Etienne, Olivier Goulet in Caen, etc.), denn es war auch die Epoche, in der mehr und mehr Kunstschulen Videomacher als Professoren einstellten. Durch die Begegnungen bei Festivals entschieden die Organisatoren des Videovertriebs aus Straßburg, Lille, Caen, Clermont, Montpellier, Bordeaux und anderen Orten, sich zu einer Bewegung namens "Les Cent Lieux" (Die hundert Orte) zusammenzuschließen... Laßt hundert Orte sich entfalten! Ein Jahr später waren es bereits fast zweihundert (mit den belgischen und schweizer Mitgliedern). Nichts sagt mehr über die Gesundheit des "vidéo création" in Frankreich als die Lektüre von Programmen der "deux cents lieux": Neue Bänder in großer Zahl! Also sprießt und gedeiht die Produktion, leuchtet auf allen Ebenen und findet den Enthusiasmus der heroischen Epoche wieder. Es geht wieder los. Der Kreis schließt sich. Die Ablösung ist gesichert. Die vierte Epoche beginnt: Die Ära von Video mit großem "V". Anders gesagt: Das Zeitalter der totalen Tele-vi- sion.

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