Sprache ist ein Virus aus dem Weltall

Essay
03.04.2017

Sprache ist ein Virus aus dem Weltall

Laurie Andersons Performance bei dem transmediale 2017 closing weekend. (Alle Fotos: Adam Berry, CC BY-NC-SA 4.0)

transmediale 2017 schloss mit einer Performance von Laurie Anderson, The Language of the Future. Aus diesem Anlass reflektiert Ryan Bishop in diesem Essay über Sprache und Narrativen in dem sich über Dekaden erstreckenden Werk von Anderson als eine Künstlerin, welche sich aller Kategorisierung entzieht —"ein Zusammenfließen von technologischer Reichweite, Ambition und Scheitern in Kombination mit ironischem Humor".

 

Die Wendung „language of the future [Sprache der Zukunft]“ ist verlockend uneindeutig. Ist es die Sprache, die wir in der Zukunft sprechen werden? Ist es die Sprache, die wir verwenden, um über die Zukunft zu sprechen? Wahlweise oder beides – Laurie Anderson hat lange mit dem Satz gespielt, ihn benutzt, um eine ganze Reihe ihrer Projekte der vergangenen Jahrzehnte zu fassen. Eine Sache ist für Anderson eindeutig: Die Sprache der Zukunft ist narrativ strukturiert. Muriel Rukeysers oft zitierter Satz „The universe is made up of stories, not atoms [Das Universum besteht aus Geschichten, nicht aus Atomen]“, könnte auch von Anderson stammen.

Das Geschichtenerzählen stand immer im Zentrum von Andersons multimedialer Kunst; anfänglich in den großformatigen Performances, die sich aus New Yorks experimenteller Performance-Szene der 1970er Jahre heraus entwickelten. Sprache – als grundlegendes Mittel, um Welten zu kreieren und ihnen Sinn zu verleihen – fungiert als Hauptfigur in ihren Narrativen, ob in Musik oder Performance. Beim Erzählen ihrer frühen Geschichten übertrug Anderson ihre Stimme durch einen Vocoder, der ihr ermöglichte, in männlich und weiblich konnotierten Stimmen zu sprechen und je nach Bedarf in die entsprechende Erzählstimme zu wechseln. Ihre Arbeit ist seither von einer Auseinandersetzung mit dem Raum, mit den Bedingungen und dem Ereignis des Sprechens gekennzeichnet – im Sinne von Homi K. Bhabhas „Ausdrucksmodalität“.

The Language of the Future tauchte 1984 in einer Arbeit von Nam June Paik auf, dem „ersten Videokünstler“ und vielleicht auch ersten Nutzer von Satelliten als Medium der Kunstvermittlung. In seinem Bestreben, das Positive an teletechnologischen Innovationen hervorzuheben, setzte Paik George Orwells 1984 zu Neujahr seine Arbeit Good Morning, Mr. Orwell entgegen. Es handelte sich um eine aktualisierte Version von Allan Kaprows „Happenings“, die eine Reihe der „erfinderischsten“ Künstler_innen und Performer_innen jener Zeit wie Joseph Beuys, John Cage, Merce Cunningham, Peter Gabriel, Philip Glass, Allen Ginsberg und Astor Piazzolla enthielt.

Andersons Beitrag beginnt mit der Schilderung des Erlebnisses, in einem Flugzeug im freien Fall auf wundersame Weise durch eine zufällige Naturbegebenheit gerettet zu werden. In einem späteren Flug sitzt die gleiche Erzähler_in neben einer Jugendlichen, deren „High-Tech-Sprech“ vom Computerjargon der frühen 1980er Jahre durchzogen ist. Das Mädchen beschreibt ihre Beziehung zu ihrem Freund als „so digital“, was Andersons Erzähler_in als immer wechselndes „On/Off“ der Beziehung entschlüsselt. Ihre Sprache der Zukunft ist „immer ein Umschalten zwischen zwei Sachen, eine ersetzt unverzüglich die andere“ und offenbart einen analog/digital binären Dialog zwischen Geschichtenerzählen und Performance.

Die Satellitenübertragung von Good Morning, Mr. Orwell verknüpfte New York, Paris und San Francisco, um die kulturellen und befreienden Dimensionen von elektronischer Telekommunikation zu zelebrieren. In Anbetracht von deren Nutzung für die intensive Überwachung der Bevölkerung durch die NSA seit 9/11 scheint Orwells Vision richtiger gewesen zu sein als Paiks. In einer unbeabsichtigten Geste an die Ästhetik der Fehler in der Glitch Art, war die Übertragung an mehreren Stellen gestört und ließ die Performer_innen ohne Ton allein. Dieses Zusammenfließen von technologischer Reichweite, Ambition und Scheitern in Kombination mit ironischem Humor findet oft auch seinen Weg in Andersons Performances.

Das Thema der dreißigsten transmediale, ever elusive, könnte auch auf Anderson übertragen werden, deren in sich konsistentes Œuvre sich nichtsdestotrotz als ein formwandelnder Korpus offenbart. Anderson bezeichnete sich in den 1970er Jahren selbst als Multimedia-Künstlerin, „weil niemand wusste, was das heißt“. Multimedia umfasste damals verschiedene künstlerische Praktiken, während der Begriff sich in den Neunzigern vornehmlich auf computerbasierte Kunstplattformen bezog. Passenderweise präsentierte Anderson bei der transmediale 1996 ihr CD-ROM-Kunstspiel Puppet Motel. Als Software mit Musik, Sprache, an David Lynch erinnernden Hotelzimmern und zahlreichen Narrativsträngen, die unmöglich zu vervollständigen sind, enthält auch Puppet Motel die immer-flüchtigen Elemente von Andersons Performance-Arbeiten.

Für ihre Performance Landfall in Kollaboration mit dem Kronos Quartet im Jahr 2013 entwickelte Anderson ein Softwareprogramm namens ERST, das aus den Klängen der Instrumente der Musiker_innen Wörter erzeugte und so das langjährige Interesse der Künstlerin an der Beziehung zwischen Musik und Sprache weiter erkundete. Das damit entstandene aurale und visuelle Palimpsest – aus aufgezeichnetem Klang, Live-Musik, live ebenso wie aufgezeichnetem Gesprochenen und in Echtzeit von Computern erzeugten Textprojektionen – schafft Risse im Narrativ, das die Performance flankiert. Anderson hat diese Arbeit in jenen 12 Monaten komponiert, in denen Hurrikan Sandy wütete und ihr Mann Lou Reed starb. Sie benutzt die jedem Narrativ innewohnenden „Fehler“ – die unvermeidlichen Brüche, Auslassungen und Tilgungen –, um eine humorvolle und eindringliche aurale Landschaft aus Technik, Scheitern, Erinnerung, Verlust und Liebe herauszubilden: introspektives Geschichtenerzählen vom Hochseil.

Übersetzung aus dem Englischen von Jen Theodor.

 

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