Uneasy Alliances

Editorial
31.10.2019

Uneasy Alliances

Praktiken der Zusammenarbeit sind heute eher die Norm als die Ausnahme. Denn in der Kunstwelt ebenso wie in der Akademie ist Interdisziplinarität kein mythisches Ideal mehr, sondern eine Voraussetzung für Erfolg. Doch in Zeiten, in denen Hybridität in vielen Kulturinstitutionen und -veranstaltungen – einschließlich der transmediale – zelebriert zu werden scheint, ist auch in Bezug auf die kooperativsten und prozessorientiertesten kulturellen Aktivitäten oft eine Exklusivität und ein gewisser Elitismus spürbar. In Zusammenarbeiten im künstlerischen und kulturellen Bereich fehlt scheinbar häufig ein angemessener Umgang mit Machtfragen: etwa, wer das Privileg hat, Projekte zu initiieren, Teilnehmende einzuladen und sich insgesamt um „Inklusivität“ zu bemühen. Wie Ewa Majewska in ihren Überlegungen zur Moderation des Study Circles Uneasy Alliances bei der transmediale 2019 aufzeigt, lautet der neoliberale Imperativ, immer erfolgreich zu sein. Doch Kooperationen bringen viele Faktoren mit sich, die die persönliche Erfüllung von vorher gesetzten Zielen unter Umständen erschweren. Wenn wir zusammenarbeiten, müssen Vorurteile abgebaut, Kompromisse eingegangen, Ziele neu definiert und Prioritäten verschoben werden. Bündnisse bezeichnen interessante Formen der Zusammenarbeit, weil sie von Anfang an Heterogenität beinhalten – als Begriff dafür, wie verschiedene Akteur*innen in einer Beziehung des gemeinsamen Interesses zusammenkommen.

Eine kleine Gruppe von Theoretiker*innen, Künstler*innen und Aktivist*innen – namentlich Jennifer Bennett, Marta Dauliūtė und Viktorija Šiaulytė, Carolina García Cataño, Wojciech Kosma, Ewa Majewska, Patricia Reed sowie Robin Vanbesien – kam für ein paar Monate für den Study Circle Uneasy Alliances der transmediale zusammen. Thematisches Motiv dieser Zusammenarbeit waren potenziell reibungsvolle Aspekte der Disidentifikation zwischen verbündeten Parteien. Der Study Circle sollte eine mögliche Form bieten, heute transversal progressiv aktiv zu werden, um Solidarität und gesellschaftliche Veränderung hinsichtlich der übergreifenden Probleme von Kapitalismus, Sexismus, Rassismus und Technologie zu erreichen.

Die Wendung „Uneasy Alliances“ wurde ursprünglich von Judith Butler inspiriert, die ihn in einem Schlüsselmoment nach der Amtseinführung Trumps verwendet. In ihrem Vortrag „This is what resistance looks like“ (dt. So sieht Widerstand aus) vom 15. Februar 2017 an der University of California in Los Angeles fragt Butler, ob „Identifikation noch eine ausreichende Grundlage für Solidarität bietet“. Sie argumentiert, dass Identifikation nicht immer die Grundlage von Bündnissen sein kann. Für Butler wird Solidarität heute eher dadurch erreicht, dass ein gemeinsames Verständnis von Ungleichheit über verschiedene Regionen und gesellschaftliche Positionen hinweg aufgebaut wird, auf dessen Grundlage gemeinsam gehandelt wird, als durch rigide Identitätspolitik. Selbstverständlich ist es leichter, über solche unbequemen Bündnisse zu sprechen als sie tatsächlich zu praktizieren. So sollte der Study Circle eher als Versuch verstanden werden, einige mögliche Ausgangspunkte und Beispiele solcher Bündnisse zu diskutieren und nicht als Vorlage eines klaren methodologischen Leitfadens. Vorschläge müssen in jedem Fall den Widerspruch enthalten, zugleich vielfältig und kontextspezifisch zu sein, anstatt irgendein allgemeingültiges Prinzip vorzulegen. Doch die Hoffnung ist hier, dass die Artikel, persönlichen Reflexionen, Projektberichte und Gespräche, die aus dem Prozess des Study Circles heraus entstanden sind, dazu anregen, zukünftig noch unbequemere Bündnisse einzugehen.

Die Beiträge zu dieser Ausgabe verhandeln also ganz unterschiedliche Themen. Gemein sind ihnen jedoch die Fragen, wie die Parteien eines Bündnisses zu definieren sind, wie Subjekte gebildet und umgeformt werden und wie gemeinsame Sprachen und Praktiken entwickelt werden können. Das Ausgangsgespräch Uneasy Alliances, Alliances of Unease: a Conversation steckt die Motive und Projekte ab, mit denen sich die Diskussion befasst. Es führt die verschiedenen Standpunkte der Teilnehmenden ein und bildet ihre ersten Versuche ab, gemeinsame Nenner und Problemfelder auszumachen.

In seinem Beitrag Solidarity Poiesis führt der Künstler Robin Vanbesien ein weiteres Schlüsselkonzept der transmediale 2019 ein: Gefühlsstrukturen. Mit diesem von Raymond Williams übernommenen Begriff beschreibt Vanbesien, wie der Auseinandersetzungsprozess in der Athener Solidaritätsbewegung nach der Schuldenkrise das Zusammenkommen verschiedener Kulturen und gelebter Erfahrungen der Krise sichtbar gemacht hat, die wiederum zur Entstehung neuer sozialer Praktiken führten. Statt einzelner Akteur*innen bilden hier diese gelebten Erfahrungen verstärkt die Grundlage für unbequeme Bündnisse.

Auch Jennifer Bennett befasst sich in ihrer Publikation SAVE mit der Pluralität der gelebten Erfahrung und mit den Möglichkeiten, sie angemessen darzustellen. Das ist Thema des Gesprächs The Power of Self-Organization zwischen der Künstlerin und dem transmediale-Kurator und Mitinitiator des Study Circles Florian Wüst. SAVE ist ein umfangreiches Buch, das aus einer Reihe von Reisen und Gesprächen hervorgegangen ist. Diese werden häufig von internetbasierter Forschung inspiriert und ergänzt, wodurch das Buch auch als post-digitales Publikationsprojekt verstanden werden kann. Der schon erwähnte Beitrag von Ewa Majewska namens Living in Contradictions bespricht die Frage der Sprache und entdeckt die Dialektik neu – aber nicht um Probleme auf Hegel‘sche Weise zu lösen. Vielmehr geht es darum, Raum für Widersprüche zu schaffen, die einerseits Bündnisse so unbequem und andererseits lohnend machen – Bemühungen, durch die wir sowohl unsere eigenen Nöte als auch die Notwendigkeit darüber hinausgehender gemeinsamer Ziele anerkennen können. Diese schizophrenen Gedanken, die Carolina Garcia Cataños Broken Thoughts durchdringen, bringen deutlich die innere Spannung zum Ausdruck, die solche Widersprüche im Alltag mit sich bringen. Darin erinnern uns Medienströme ständig an Wirklichkeiten, die größer sind als wir, und dienen uns gleichzeitig als Mittel, uns abzuwenden und zu verschließen. Diese oft verwirrende Verschmelzung unabhängiger aktivistischer und künstlerischer Praktiken mit den flexiblen und übermedialisierten Wirklichkeiten des globalen Kapitals und eines unternehmerischen Lebensstils erarbeiten Marta Dauliūtė und Viktorija Šiaulytė in ihrem Dokumentarfilmprojekt Good Life. In ihrem Beitrag beziehen sie ihre Analyse auf den Startup-Urbanismus in Berlin.

Gemeinsam mit den anderen Kurator*innen dieses Study Circles möchte ich den Moderator*innen Ewa Majewska und Wojciech Kosma sowie allen Teilnehmenden für ihr großes Engagement und ihre Bereitschaft danken, ihre inspirierenden Gedanken und Praktiken zu teilen. Besonderer Dank geht auch an das gesamte Team der transmediale, an Lieke Ploeger und den (mittlerweile leider nicht mehr bestehenden) Projektraum Spektrum sowie an alle Besucher*innen, die zum Workshop und zu den Veranstaltungen des Study Circles beigetragen haben.

Übersetzung aus dem Englischen von Jen Theodor.
Lektorat von Tabea Hamperl.

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