Vilém Flusser Residency for Artistic Research 2013

22.11.2012

Vilém Flusser Residency for Artistic Research 2013

Für das Vilém Flusser Residency Programme for Artistic Research 2013 haben die Jurymitglieder Kristoffer Gansing, Marcel Rene Marburger und Lioudmila Voropai Pinar Yoldas und ihr Projekt An Ecosystem of Excess ausgewählt.

Für das Vilém Flusser Residency Programme for Artistic Research 2013 haben die Jurymitglieder Kristoffer Gansing, Marcel Rene Marburger und Lioudmila Voropai Pinar Yoldas und ihr Projekt An Ecosystem of Excess ausgewählt.

 

Jury Statement

Das Projekt An Ecosystem of Excess von Pinar Yoldas behandelt das Problem der von Menschen geschaffenen Extremumgebungen, wie Müllhalden und Schrottplätze, die durch exzessiven Konsum geschaffen werden. Die Nachwirkungen der Umweltverschmutzung durch diesen Industrie- und Technologiemüll wurden in den letzten Jahren zu einem weit verbreiteten Thema in öffentlichen Debatten. Sie gehen längst über eine ursprüngliche, linksorientierte Kritik an der kapitalistischen Kosumgesellschaft hinaus. Eine Ausweitung dieser umweltbewussten, öffentlichen Diskussionen spiegelt sich auch in der gegenwärtigen Kunstproduktion wider: Ökologische Themen sind zu einem zentralen Bestandteil des Themenspektrums im aktuellen Kunstrepertoire geworden.

 

In diesem Zusammenhang möchte An Ecosystem of Excess mehr bieten, als bloß einen weiteren Beitrag zum momentanen Trend der “Eco-Art”. Das Projekt will eine kritische und ironische Betrachtung zur Möglichkeit eines Kunstprojekts aufzeigen, das Umweltprobleme untersucht und eine bestimmte, der Kunst innewohnenden Wissenschaftsmethodologie und analytische Werkzeuge entwickelt. Den Ausgangspunkt des Projekts bietet der sogenannte “Pacific Trash Vortex” - ein treibendes Geflecht aus Plastikabfall, das mehr als 5000 km² des Pazifischen Ozeans bedeckt. Analog zur Theorie der “Ursuppe”, aus der die organischen Moleküle der Erde entstanden, entwickelt Pinar Yoldas Lebensformen, die aus dem Urschlamm des “Pacific Trash Vortex” entstehen könnten. In einer spekulativen Projektion, die als “bio-fiction” beschrieben werden könnte, führt sie eine neue Taxonomie der Spezies des Überflusses (“species of excess”) ein, die an solche Umstände angepasst sind.

 

In Bezug auf vorherige Arbeiten von Pinar Yoldas wie Speculative Biologies, Scream oder Shock Therapy und deren humorvollen Kommentar auf die konzeptuelle Oberflächlichkeit der heutigen Mainstream “bio-art” möchte das Vilém Flusser Residency Programme zur weiteren Entwicklung des kritischen Ansatzes der Künstlerin ermutigen, nicht nur für die untersuchten Themen, sondern ebenfalls für die Art und Form der Herangehensweise in der künstlerischen Praxis.

 

Projektbeschreibung: An Ecosystem of Excess

An Ecosystem of Excess ist der Versuch, ein nach-menschliches Ökosystem zu erschaffen, eine lebende Gemeinschaft aus spekulativen Organismen und ihrer Umgebung. Ausgangspunkt des Projektes ist die Idee, dass wir von von Menschen geschaffenen Extremumgebungen umringt sind. Solch eine Extremumgebung ist ein Ort des Überflusses, an dem die Überbleibsel unserer kapitalistischen Wünsche und Konsumhandlungen angehäuft sind. Beispiele hierfür sind Schrottplätze und Mülldeponien. An Ecosystem of Excess beginnt im "Pacific Trash Vortex". Dieses treibende Geflecht aus Plastikmüll wurde 1985 von Captain Roger Marshall entdeckt und bedeckt ca. 5000 km² des Pazific. Es ist eine Monument aus Plastikabfall im Weltmaßstab. In Bezug auf Kants Ästhetik ist es eine wahrlich erhabende, kinetische Skulptur, die von allen Nationen um den Pazifischen Ozean herum gebaut wurde – in vielen Jahren des sinnlosen, nicht nachhaltigen Konsums. Der "Pacific Trash Vortex" ist der Ort, an dem Flaschendeckel aus Plastik auf den Verdauungstrakt des Laysanalbatros treffen (1). Mit anderen Worten gibt es dort draußen im Ozean einen Ort des Austauschs zwischen dem Organischen und dem Synthetischen, einen Ort der Fusion zwischen Natur und Kultur. Laut der Ursuppen-Theorie begann das Leben auf der Erde vor vier Milliarden Jahren in den Ozeanen, in denen anorganisches Material zu organischen Molekülen wurde. Heute sind die Ozeane zu einer Plastiksuppe geworden (2). Dieses Projekt stellt sich eine recht einfache Frage: “Wenn das Leben heute aus Ozeanen aus Plastik entstehen würde, was für Lebensformen würden sich dann aus diesem heutigen Urschlamm entwickeln?” Die Antwort auf diese Frage lautet: An Ecosystem of Excess – eine neue biologische Taxonomie der Spezies des Überflusses, die in solchen von Menschen geschaffenen Extremumgebungen wie dem Pacific Trash Vortex überleben können. Das Projekt stellt eine Reihe von miteinander verbundenen Spezies vor, die sich in ozeanischem Plastik, chemischem Schlamm und anderem Abfall entfalten könnte. Das Design dieses Ökosystems folgt dem Konzept der Umwelt von Jacob von Uexkull: die wahrnehmbare Welt, in der ein Organismus als ein Subjekt agiert (3). Deshalb liegt der Fokus auf den sensorischen Modalitäten eines jeden Organismus. Ihre “Weltansicht” wird in Diagrammen, Modellen und Codes simuliert werden. An Ecosystem of Excess entstand am Schnittpunkt ökologischen und feministischen Denkens, deshalb lehnt es utilitaristische und vermenschlichende Ansätze ab, die den inneren Wert einer jeden Lebensform missachten, unabhängig von seinem Nutzwert für den Menschen. Aus diesem Grund wird in einem ersten Schritt des spekulativen Designprozesses eine Umwelt für jeden einzelnen Organismus im Ökosystem generiert.

 

(1) Moore, Charles and Cassandra Philips. Plastic Ocean: How a Sea Captain's Chance Discovery Launched a Determined Quest to Save the Oceans, [120-122] Avery, 2011
(2) Captain Charles Moore holding a sample from the plastic ocean
(3) Uexkull, Jacob Von. A Foray into the Worlds of Animals and Humans: with A Theory of Meaning (Posthumanities), 2010

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