Von Tiefen und Dichte: ein Fehlerbericht
Von Tiefen und Dichte: ein Fehlerbericht
Possible Bodies (dt. Mögliche Körper) ist eine fortlaufende Forschungszusammenarbeit über die technischen und lebhaften Spannungen zwischen sogenannten Körpern und volumetrischen Praktiken.1 Die Untersuchung kann an jeder möglichen Überschneidung zwischen zwei Vektoren ansetzen. Ein Vektor besteht aus physischen Körpern, die somatisch sein können oder auch nicht, menschlich oder auch nicht, isoliert oder auch nicht, benannt oder auch nicht. Der andere Vektor verdichtet sich durch die Berechnung des Volumens, das Körper durch ihre Anwesenheit im Raum einnehmen, ob virtuell – aus Bits bestehend – oder physisch – aus Atomen bestehend.
Das Projekt zielt darauf ab, „Körper“ im Zusammenhang von 3D-Tracking-, Modelling-, Rendering-, Kalibrierungs- und Scan-Verfahren als konkrete und fiktionale Entitäten zu problematisieren. Solche Verfahren sind durch die Digitalisierung vielleicht ausgereifter und schneller geworden, sind aber keineswegs neu. Die spezifische zeitgenössische Topologie der Volumetrie stützt sich auf verschachtelte Genealogien verschiedener Wissenscluster der Moderne (Verfahren zur Einstellung der Perspektive, Techniken zur Aktivitätsmessung, Werkzeuge zur Waagenkalibrierung, Normierung von Durchschnittsmengen, Methoden zur Positionsvorhersage). Verbreitete Protokolle und Paradigmen bestätigen die Grenzen dessen, wie, wann, wo und warum Körper untersucht und gemessen werden könnten oder sollten. Anders gesagt, es gibt ein Kontinuum, das den ruhigen Fluss sehr spezifischer Volumetrien (und nicht anderer) von der Architektur über die Grenzüberwachung bis hin zum Rechtlichen, Militärischen und Pornografischen ermöglicht – und dabei auch die Spektakularisierung des Sports und biomedizinischer Praktiken durchläuft. Aus den technikwissenschaftlichen Bedingungen für die Gleichmäßigkeit dieses Flusses ergibt sich eine gewisse Unbeweglichkeit in Bezug auf wahrscheinliche Verläufe entlang des Volumetrie-Kontinuums. Sie beschränken potenzielle wilde Verdrehungen und überraschende Hacks, die erforderlich sind, um vom Wahrscheinlichen zum Möglichen zu gelangen!
Natürlich beeinflusst der Maßstab sehr stark die Mathematik der Präsenz. Nehmen wir den Maßstabssprung zwischen individueller somatischer Leiblichkeit (etwa von zoologisch anerkannten Organismen) und dem sogenannten Erdenkörper. Dieser enorme Unterschied belegt, wie der infrastrukturelle Komplex von Geo-Verfahren wie Bergbau und Bodenmessungen abhängig von verwandten Software-Werkzeugen ist, wie sie im biomedizinischen Bereich Anwendung finden (etwa die Tomografie). Hierfür werden sie jedoch an ein anderes Feld angepasst, um geologische Daten verarbeiten, interpretieren und dreidimensional visualisieren zu können. Solche Werkzeuge treiben sowohl biomedizinische Bildgebung als auch verdeckte technikkoloniale Erkundungen an. So erhalten sie Wissensbestände aufrecht, die einander beharrlich beeinflussen. Possible Bodies liegt die Frage zugrunde, wie diese parallelen technischen Entwicklungen zu einer Kristallisation und Standardisierung solcher Verfahren beitragen.
In Form eines Nachmittagsworkshops bei der transmediale 2019 lud Possible Bodies eine Gruppe von Festivalbesucher*innen dazu ein, gemeinsam quelloffene Werkzeuge des Geo-Modellings zu erkunden. Dabei stand die Beschäftigung mit verschiedenen Regimen im Mittelpunkt, unter denen die Software operiert – Wahrheit, Repräsentation, Sprache oder politische Ideologie. Der Workshop versuchte, Bezüge zwischen den Werkzeugen und einer Auswahl an Texten herzustellen. So sollten widerständiges Vokabular und Fiktionen eingespeist und Fehlnutzungen und/oder Reibungen erzeugt werden, um auf die extraktivistische Voreingenommenheit Einfluss zu nehmen, die Teil der Berechnung von Tiefen und Dichten der Erde sind. Der Workshop war ein trans*feministisches2 Experiment, aus dem in einem Akt der affirmativen Verantwortungsübernahme für diese turbokapitalistische Dynamik die Kompilation eines „Fehlerbericht“3 hervorging.
In einer praxisbezogenen Situation wurde die GPlates-Software-Plattform zur Fallstudie. GPlates ist ein interaktives Visualisierungsprogramm zur Plattentektonik. Die quelloffene Anwendungssoftware rekonstruiert sehr komplexe Datensätze visuell, die für die Geophysik-Community von Nutzen sind.4 Als voreingenommene, affektive und potenziell anschauliche Infrastruktur für diese Auseinandersetzung wurde diese Plattform als Drehpunkt des Workshops gewählt. Wir befassten uns mit ihr und triangulierten ihre Visionen der Erde mit weiterer Softwaretechnologie und ein wenig kritischer Theorie.
Der Workshop Depths and Densities wurde von einer Mischung aus altbekannten Gefährt*innen und neu hinzugestoßenen Teilnehmenden besucht (insgesamt flossen etwa 30 Stimmen zusammen). Sie alle brachten ihre eigene besondere Stärke hinsichtlich der vor uns ausgebreiteten Werkzeuge, Theorien, Vokabularien und Dringlichkeiten mit. Die Gespräche wurden vor Ort aufgezeichnet und später transkribiert. Die vorliegende Veröffentlichung durchschneidet eine dichte Masse schriftlicher Notizen, Transkriptionen und exzerpierter Theorietexte, die sich entlang fünf vektorieller Provokationen sedimentieren: zur Standardisierung von Zeit, zu Software-Sprachen, zur Aktivierung von Geontologien, zur Berechnung von Geschwindigkeiten und zu den Techniken der 3D-Visualisierung. Jede dieser Provokationen – jeder Vektor – wurde von einer Gruppe Teilnehmender aufgegriffen, die es sich zur Aufgabe machten, einen Teil von GPlates als Ganzem zu öffnen (etwa eine technische Funktion, ein Forum, eine Anleitung, eine Oberfläche etc.) und sie mit einem Textstück aus einem von Helen Pritchard, Femke Snelting und mir komponierten Reader in Spannung zu setzen. Die Plattform wirkte als Katalysator unserer Gespräche und somit wurde ihre Entwicklungsgemeinschaft schließlich zur indirekten Gesprächspartnerin eines Berichts.
Der folgende Ausschnitt ist entstanden, um eine Probe der eklektischen Dialoge jenes Nachmittags in etwas zu zerteilen, das in einen vielstimmigen Abhörbericht übertragen werden könnte.5
Erste vektorielle Provokation, zur Standardisierung von Zeit
wenn sich in gegenwärtigen Software-Umgebungen der Geophysik vielfache Zeitskalen sedimentiert haben, können dann die Praktiken zur Extraktion fossiler Energieträger als Praktiken des Zeitreisens verstanden werden?
in diesen verstörenden Zeiten besteht eine Dringlichkeit, die Zeit zu stören, sie bis auf ihren Kern zu erschüttern und kollektive Vorstellungswelten zu schaffen, die die weit verbreiteten Konzeptionen von Zeitlichkeit zersetzen diese Dringlichkeit ist zugleich neu und nicht neu6
wie wird – in einem modellierenden Sinne – das Ende der Zeit imaginiert?
wir sehen getrennt aufgetragene Farben
Zeit ist nicht das, was sie einmal war
existiert der Erdenkörper in derselben Zeitskala wie du?
oder: Versuche, die Wenns auf andere Weise zu bezeugen
Zeit ist tendenziell auf die Wahrnehmung der beobachtenden Person begrenzt (und von ihr) beeinflusst,
doch was sind die materiellen und semiotischen Bedingungen für eine andere Art der Zeitwahrnehmung?
sedimentierte Zeit und Koexistenz
in Ökologien des Nichts (auch Leere)
Leere ist eine Eigenschaft, die üblicherweise in der oberflächennahen geophysikalischen Bildgebung entsteht.[…] Doch Leere wird oft falsch identifiziert. Manche Leere wird übersehen und andere anomale Eigenschaften werden für Leere gehalten, obwohl sie das nicht tatsächlich sind. Wenn wir sie mit echter Leere vergleichen, können wir die Unterschiede erkennen, die auf unvollständigen Daten beruhen.7
Zweite vektorielle Provokation, zu Software-Sprachen
die Herausbildung einer anders angetriebenen Sprache der Geologie muss einen Wortschatz bieten, mit dem geologische und geopolitische Traumata adressiert werden können
die Ausdauer einer steinernen Geduld, die die Liebe nicht vergisst8
Nutzer*innenbindung an die Erde durch eine 3D-Visualisierungssoftware beruht auf Metaphern, die auf Besitz und Besetzung verweisen wie handling oder grabbing
im Wortschatz der Geologie, der Menschen und Orte in Besitz nimmt und die Organisierung des Seins auf diese Weise begrenzt, schafft die Verweigerung solcher Gefangenschaft ein Gemeingut in der Messung und Neigung der Welt, anstelle der exklusiven Universalität des humanistischen Subjekts
du kannst immer noch nach der Erde greifen:
auf GPlates steht eine statische Erde zum Zugriff bereit
in der Materie der Welt findet sich eine Weigerung, abgesteckt zu werden – ihre isolierte Freiheit [maroonage 9] bietet ein Zuhause; „sie ziehen umher, als hätten sie kein Jahrhundert, als könnten sie die Zeit anhalten … Kompasse, deren Ausrichtung schräg steht, die von den bekannten Kartierungen rutschen“
auch die Nutzung des Verbs „(zu)greifen [to grab]“ bringt die Geschichte und Praxis der Landnahme, des Missbrauchs und der willkürlichen Eigentums- und Aneignungshandlungen mit sich, die sowohl mit der Enteignung anderer Menschen durch die Inbesitznahme von Boden als auch mit ökologischer Zerstörung einherging
doch was wenn
die Erde zurückgreift?
es gibt eine Art des Denkens, die wir nicht länger akzeptieren werden
wenn die Achse der Einbindung in einer geologischen Optik und Nähe kippt, kann das Nichtmenschliche als eine andere Art der Ressource beansprucht werden als in seiner kolonialen Besitzförmigkeit – in einer gravitativen Form, die so extravagant ist, dass sie der Erdanziehung trotzt
wenn das ganze semantische Netz von GPlates auf Bearbeitung [handling] und Zugriff [grabbing] als zentralen Gesten im Verhältnis zum Erdenkörper beruht, dann schleichen sich allzu leicht und allzu schnell der Verlust der Handlungsfähigkeit und eine extraktivistische Grundhaltung ein
eine neu gebildete Sprache der Geologie muss einen Wortschatz bieten, mit dem das Anthropozän auseinandergenommen werden kann, eine Poesie, mit der eine neue Epoche gestaltet werden kann, eine neue Geologie, die die Rassifizierung von Materie berücksichtigt
die meisten Software-Plattformen gestatten keinen Widerstand,
keine mögliche Nichtverfügbarkeit
die Praxis jener Ästhetik verortet eine aufständische Geologie
Mittelklick und ziehen
¡la tierra para quien la trabaja!10
neugebildet im Sinne der Handlungsfähigkeit für die Gegenwart, für das Ende dieser Welt und die Möglichkeit anderer Welten; denn die Welt dreht sich bereits
und was wenn
die Erde zurückgreift?
die Geister der Geologie erheben sich
Dritte vektorielle Provokation, zur Aktivierung von Geontologien
unser Sprechen legt sich übereinander
wie tektonische Platten und Strata
eine Zeit der geologischen Seelenlosigkeit11
anzuschauen, was Geologie eigentlich ist,
beinhaltet eine Neubetrachtung der Annahmen darüber,
was Leben ist
das Anthropos als nur ein Element in der größeren Reihe nicht nur tierischen Lebens, sondern allen Lebens – im Gegensatz zum Zustand des ursprünglichen und radikalen Nichtlebens
Mineralien Felsen Platten
das Lebendige im Verhältnis zum Reglosen, das Erloschene im Verhältnis zum Unbewachsenen
kann nicht von Zeit losgelöst werden
es ist auch deutlich, dass spätliberale Strategien der Regierung von Differenz und Märkten auch nur insofern funktionieren, als dass sie diese Unterscheidungen aufrechterhalten
aber wo ist die Legende, wir konnten sie nicht lesen
Leben (Leben{Geburt, Wachstum, Reproduktion} vs. Tod) vs. Nichtleben
warum diese Aussetzung
Zersetzung des Lebendigen
das Anthropozän sollte im Fehlerbericht auftauchen
in der Mutter aller Fehlerberichte
es handelt sich keineswegs um ein unumstrittenes Konzept
andernfalls wird die Zukunft weiterhin fehlen
aber warte, die Vergangenheit fehlt auch
die Linie geht 172 Millionen Jahre zurück, aber die Erde ist 4,5 Milliarden Jahre alt
die Art, wie Daten über bestimmte Formen gelegt werden, wie es gewissermaßen bestimmte Arten der Herstellung und der Materialisierung und Bedeutungsgebung von Welt bewirkt12
eine farbkodierte Chronologie
ist dieser Farbton das Jahr der Entstehung
oder des Andauerns
des Zusammenbruchs der Vereinigung
wollen wir also gewissermaßen die technischen und politischen Fragen durchdenken, was Tiefe ist und was Dichte ist, wie sie sich je nach Situation verschieben, in der sie operationalisiert werden
eine Steigerung an Abstraktion wird auf gefährliche Weise dargestellt
vielleicht die Unterschiede zwischen den Dichten in der Geophysik und etwas wie biomedizinischem Scannen, obwohl beide tomografische Prozesse umfassen können
was ist die Haut eines Körpers
ihre Dichte
ihre Farbe?
Dichte ist nicht starr
aber warum?
Uns interessiert die Erkundung dieser offenen Fragen; wie sie gewichtet werden und wie sie im Verhältnis zu Dingen wie Oberflächen und ihren Topologien gewichtet werden, wo es womöglich Dichten der Macht gibt
eine Farbgrafik wäre toll
in den Vorstellungswelten von Tiefe gibt es eine Art von Dichte: die Art des Unbekannten oder Unerreichbaren, das Entfernte oder Nicht-Entfernbare. Aber auch die Art des Dunklen und moralisch Krummen in Körpern, in der Erde und im Begehren.
wie die absolute Altersdatierung von Felsen
du bist lebendig, ich bin lebendig / Los geht’s!
andere Vorstellungen von Tiefen im Verhältnis zur Erde und zum sogenannten Körper oder auch zum Körper der Erde. Insbesondere der Denkstil im Schreiben der Geophilosophie und der feministischen Technikforschung, das nahelegen kann, dass wir womöglich die Achse der Bindung kippen
der Erde die Haut abziehen
den Mantel
Ich denke, auch das liegt im Kern des Projekts Possible Bodies, dieses Kippen im Zugang zu einer anderen Art von Optik
und sie wieder aufziehen, wo die vierte Dimension die Zeit ist und auf 5D trifft: Unbestimmtheit
zu einer anderen Art der Nähe
sie lässt sich nicht ganz wieder aufziehen
bedenke das Nichtmenschliche der Erdoberflächen, der tektonischen Platten, der geologischen Strata; vielleicht kann es anders als durch die koloniale Besitzform wiedergegeben werden, durch die es in so etwas wie den Modelling-Werkzeugen für die Extraktion fossiler Treibstoffe oder Erdgas gerendert wird
Geontologies: der Bedarf aller Fehlerberichte
Vierte vektorielle Provokation, zur Berechnung von Geschwindigkeiten
dies hier ist zu linear
das dort zu geradlinig
Daten haben verschiedene Dichten und Intensitäten
und die Effekte und Affekte der einzigen Zeitleiste machen sich selbst sichtbar
sie fragten sich, welche durchsichtigen Raum-Zeiten wohl im Dunkeln verblieben, als spezifische intra-aktive Technologien gewaltvoll reale Körper erstellten13
es bleiben graue Bereiche, die
eine fehlende Datenabdeckung anzeigen
die Krise der Präsenz, die in der Wende zur computergestützten Berechnung aufkam, wurde vom Technikkolonialismus des Turbokapitalismus geprägt
wo ist diese Information
was ist diese Überfiktion
einberufen aus den dunklen inneren Raum-Zeiten der Erde, des Fleischs und des Kosmos’, belegen bestimmte [unmoderne] Übertragungen, dass wirkliche Körper nicht existieren, bevor sie getrennt, zerschnitten und isoliert werden.
ganze Teile grauer Erde
wie bei einem Kuchen
der darauf wartet, garniert zu werden
Grau bedeutet, dort gibt es nichts, etwa eine Substanz der Erde
es ist fast eine Leere
sie lasen, hörten zu und tratschten mit Unbeholfenheit, Intensität und Dringlichkeit
die Erde wird als Vorlage benutzt
für fast immer fragmentierte Daten
hör zu: es gibt eine bebende Oberfläche, eine kosmologische Inventur – heißen Atem im Ohr
zoome hinein in diese bebende Oberfläche
und finde immer einige Risse
das Werkzeug will es immer
als ein Ganzes präsentieren
das Einssein der Erdenheit
wie das Einssein des Menschseins
es gibt ein beharrlich auferlegtes Paradigma der Ganzheit
und eine vorgeblich vollständige Auflösung
doch ein Körper wird nur dann zu irgendeinem Körper, wenn das ganze Ding zusammenbricht
aber wenn
[der Boden] nicht länger das ausschließliche Gebiet der Technokraten oder geophysikalischen Experten ist (oder niemals war)
schnappe ihn dir schnell
so viel Zeit in einem Wischen über den Bildschirm
es ist beinahe grob
dies sind deine neuen Geräte, abgedunkelt und glänzend
nimm dir deine Zeit
scrolle scrolle
scrolle weiter
wo die poetische Wiedergabe beginnt,(gerechte) gesellschaftliche Vorstellungen (neu) zu erzeugen
Dorts
Danns
Wahrheiten
lasst uns kollektiv auf Technologien reagieren
rückwärts zählen
und das Jahr Null bleibt nicht
greife nach dieser Zeit
und
vielleicht kannst du zusätzliche Zeit bekommen, wenn du die Software aktualisierst
die transfeministische queere Zukünfte bringen
Fünfte vektorielle Provokation, zu den Techniken der dreidimensionalen Volumenvisualisierung
wer steht hinter
dem Vorschlag der Mercator-Projektion14
postkoloniale oder hegemoniale Entwicklungsstrukturen15
wer steht hinter einer weiteren eurozentrischen Sicht darauf
„die Zentralität der mathematischen und technischen Wissenschaften … , die von maskulinistischen Ideologien der Beherrschung und Meisterschaft strukturiert sind“
von 2D zu 3D
solche institutionellen, kulturellen und wissenschaftlichen Praktiken beeinflussen auch das Wissen der Gletscherforschung
du bist die Kamera!
Die Fragen, wer Wissen über Gletscher produziert und wie solches Wissen angewendet und geteilt wird, zeigen reale Auswirkungen, wenn wir sie durch die Perspektiven der feministischen postkolonialen Wissenschaftsforschung und der feministischen politischen Ökologie betrachten
Auf GPlates kannst du die Pole vertauschen
klicke den Pol an und ziehe ihn
indigene Ansätze stellen das Eis nicht als passiv dar, nicht als etwas, das es zu messen und zu beherrschen gilt
während die Zeit geschieht
entlang eines linearen Höhepunkts
kaskadierender Daten
vervielfältigt das Volkswissen über Gletscher das Feld der Glazialgeologie und untergräbt die Vormachtstellung der Naturwissenschaften
GPlates nutzt tief vertraute Metaphern, wenn es tektonische Abhängigkeiten als Eltern-Kind-Verhältnis rahmt
Über die Erde, das gegenwärtige Subjekt unserer Szenarios, können wir eine einzige Vorannahme treffen: Sie interessiert sich nicht für die Fragen, die wir über sie stellen. 16
gleite durch den Zoom
hinein und hinaus aus dem Datensatz magnetischer Informationen
von einer Welt sprechen, die „vorgängig“ und „unabhängig“ ist, ohne zu implizieren, dass sie „einheitlich“ und „determiniert“ ist: Sie begegnet einer Erde, die weitgehend „bereits verfasst“ ist, ohne dass sie dabei „bereits summiert“ wäre17
jetzt
verschiebe
den Pol
im Verhältnis zu naturwissenschaftlicher Forschung „eine stabile Identität“ zu haben, bedeutet nicht per se Stillstand oder Stabilität
gleite
tiefer hinab
ruhig
aber wie wann wo
aber wer was warum
In der prozesshaften Arbeit am Projekt Possible Bodies wurde überdeutlich, wie dringend die möglichen Wirkungen „widerständiger praxisbezogener Forschung“ berücksichtigt werden müssen. Alle Fragen zur politischen Beschränktheit der Körpervolumenmessung, die rund um die Hauptvektoren der Untersuchung aufkamen, zeigen einen zentralen Bedarf, den disziplinären Methoden, Werkzeugen, Sprachen, Medien und Maßstäben nicht zu folgen. Stattdessen sollte unterwegs eine situierte Rigorosität erfunden und das fortwährende Forschungsgespräch geschärft werden. Aus diesem Grund entschieden wir uns, unsere Aufmerksamkeit dem sehr besonderen Schriftstück des Fehlerberichts zu widmen: Er operiert als ein performatives Dokument, das selbst immer schon eine Veränderung seiner Umgebung bewirkt. Technisch gesehen, machen die oben zusammengefügten Fragmente noch keinen Fehlerbericht aus. Deshalb erscheint es elementar, mindestens die fünf vektoriellen Provokationen aus dem Workshop sowie einige offene Fragen und mögliche Forschungsverläufe zu bündeln, um fortzufahren, falls sie sonstwie in die Unterredungsmaschinerie hineingleiten können. Fragen sind unter anderem:
Wie können die materiellen und semiotischen Bedingungen der Möglichkeit, die mit Software wie GPlates verbunden sind, für eine kollektive Problematisierung der Vorstellungswelten und Konzeptionen von Zeitlichkeit neu aufgelegt werden?
Was wären angemessene Werkzeuge, mit denen komplexere, nicht-starre Handlungsfähigkeiten jenseits der bloßen Technokratie eröffnet werden können, und die vielleicht auch zu einer Teilhabe einladen, die von intersektionaler Sensibilität sowie von weiterer Neugier und/oder dringenden Kämpfen angetrieben ist?
Die Aufgabe scheint noch anzustehen, das Verständnis von Softwareentwicklung als Weltenmachen zu stärken. Es bedarf auch dringend einer Visualisierung und Repräsentation der Erdphänomene, ohne die Werte des Universalismus zu vergrößern. Damit das geschehen kann, müssen wir uns erst selbst darin üben, die nicht unschuldige Matrix der Regime – von Wahrheit, Repräsentation, Ökonomie und Ideologie – zu erkennen und zu problematisieren, die sich in naturwissenschaftlichen Software-Umgebungen zusammenfinden.
Übersetzung aus dem Englischen von Jen Theodor.
Lektorat von Tabea Hamperl.
Software-Quellen
GPlates Markup Language (GPML)
Gplates Tutorial 7.1: 3D Volume Visualisation Importing and Visualising 3D Scalar Fields
EarthByte Gplates Portal Geology
GPlates Tutorial 1.1: Loading and Saving Data
Enhanced Shuttle Land Elevation Data
- 1. https://possiblebodies.constantvzw.org
- 2. Wir nennen ihn trans*feministisch, um rund um dieses Sternchen (*) alle möglicherweise erforderlichen intersektional und intra-sektionalen Aspekte zu versammeln. In diesem Fall ist eine trans*feministische Linse durch queere und antirassistische Sensibilitäten geschärft und an generationen-, medien-, disziplinen-, geopolitisch expertisen- und genealogienübergreifenden Forschungsformen ausgerichtet (aber nicht darauf reduziert).
- 3. Fehlerberichte sind eine besondere Art von Dokument, das mit dem Ziel geschrieben und ausgesandt wird, ein Software-Problem zu lösen. Die Empfänger*in ist handlungskompetent und fähig, technisch in die Funktionsweise des Programms einzugreifen. Somit können Fehlerberichte als eines der zentralen performativen Mittel in Prozessen der Softwareentwicklung verstanden werden.
- 4. https://www.gplates.org/
- 5. Alle Texteinfügungen (kursiv, rechtsbündig) sind Zitate aus den Texten im Workshopreader. Die Abschnitte, die einem bereits mit Quellverweis versehenen Zitat folgen, stammen von derselben Autor*in, bis die nächste Quellenangabe an einem kursiv gesetzten Zitat folgt. Alle linksbündig gesetzten Stimmen kamen in den Workshopgesprächen auf, die von Fanny Wendt Höjer transkribiert wurden.
- 6. Karen Barad, „Troubling time/s and ecologies of nothingness: on the im/possibilities of living and dying in the void“, New Formations 92: Posthuman Temporalities (2018).
- 7. David C. Nobes, „Pitfalls to Avoid in Void Interpretation from Ground Penetrating Radar Imaging“, Interpretation. 6. 1-31. 10.1190/int-2018-0049.1. (Juni 2018).
- 8. Kathryn Yusoff, A Billion Black Anthropocenes or None (Minneapolis: University of Minnesota Press, 2018).
- 9. A.d.Ü. Das Konzept der „Maroonage“ bezieht sich auf jene Menschen, die sich der rassistischen Versklavung und dem kolonialen Gewaltsystem entziehen konnten und an von der Außenwelt abgeschnittenen Orten widerständige, isolierte und geheime Gemeinschaften bildeten (siehe: maroons, marrons, cimarróns).
- 10. Emiliano Zapata (ca. 1911); dt. etwa: Der Boden denen, die ihn bebauen!
- 11. Elizabeth A. Povinelli, Geontologies: A requiem to late liberalism (Durham: Duke University Press, 2016).
- 12. Auszüge aus Helen Pritchards mündlicher Einführung in den Workshop
- 13. Possible Bodies gemeinsam mit Helen Pritchard, „Ultrasonic dreams of aclinical renderings“, in Ada: A Journal of Gender, New Media, and Technology, Nr. 13 (2018).
- 14. Wikipedia-Eintrag zur Mercator-Projektion: [https://de.wikipedia.org/wiki/Mercator-Projektion] letzer Zugriff am 8.7.2019.
- 15. Mark Carey / M. Jackson / Alessandro Antonello / Jaclyn Rushing, „Glaciers, gender, and science: A feminist glaciology framework for global environmental change research“, in Progress in Human Geography, 40(6), 770-793 (2016).
- 16. Isabelle Stengers, The Invention of Modern Science (Minneapolis: University of Minnesota Press, 2000).
- 17. Nigel Clark, Inhuman Nature: Sociable Life on a Dynamic Planet (London: SAGE Publications, gemeinsame Veröffentlichung mit Theory, Culture & Society, 2011), S. 38-39.