Wohin bewegt sich Video? By Norbert Hillaire

03.03.2017

Wohin bewegt sich Video? By Norbert Hillaire

Festival Videoformes 1992 - man fragt sich, wohin bewegt sich Video, und wie geht es ihm überhaupt?
Eigentlich gar nicht so schlecht, könnte man antworten. Mit etwas Abstand, jetzt wo der Weg, den die Pioniere Paik, Emshwiller und andere gewiesen haben, eine regelrechte Hauptverkehrsader geworden ist, kann man sagen, daß in Video frisches Blut fließt. Sind mehr und mehr Künstler provisorische Verträge mit Video eingegangen, die sie zum Unglück ihrer ursprünglichen Disziplin in endgültige Ehen verwandelt haben? Nicht unbedingt! Bei Paik und Robert Cahen spielt die Musik direkt im Herzen der Bilder, in ihrer quasi-klanglichen Organisation, Desorganisation - der Soundtrack war nie so phantasievoll wie bei Video: Woher also dieses Unwohlsein?

Woher also dieses Unwohlsein, welches sich angesichts so vieler "Werke" auf den Festivals über uns ausbreitet wie das Elend in der Welt? Weil es junge Werke sind? Weil Video selbst eine junge Kunst ist? Zweifelsohne - aber nicht allein.
Mir scheint, daß es des Leichtigkeit, auf die sich das Videobild so sehr stützt, daß Jean Paul Far- gier sagt, das Bild entfliehe seiner Kadrierung (in Installa-tio- nen etwa, oder wenn sie uns im Ausschnitt "den Rücken zuwenden"), das einzig wahre Emblem der elektronischen Künste ist und einer der Werte, die in unserer Zeit mehr und mehr geopfert werden, trotz Allem an etwas fehlt.
Dieses Etwas steckt meiner Meinung nach in jenem Satz von Calvino, in dem er die Leichtigkeit auch zu seinem Wert macht:
"Wenn ich ein Motiv als Weihgabe zur Begrüßung des nächsten Jahrtausends zu wählen hätte, sähe es so aus: Der unerwartete behende Satz des Dichterphilosophen, der sich auf das Gewicht der Welt stützt und so beweist, daß das Geheimnis der Leichtigkeit in der Gravitation liegt".

"Der sich auf das Gewicht der Welt stützt": Die Videokünstler nehmen es nicht immer wahr, denn in gewisser Weise sind sie nicht genügend darüber informiert worden, daß die Welt, trotz ihrer Leichtigkeit, niemals aufhört ernst, gewichtig zu sein. Wenn ein Werk (der Videokunst) gut ist und man von ihm beeindruckt wird wie von einem Gemälde Velasquez', ein seltener Fall, liegt es daran, daß man hinter der Leichtigkeit der Bilder erspürt, wie der Künstler gedacht und gefühlt hat. Spürt, wie er dann die Prozesse sich hat setzen lassen, die von der Schwere zur Leichtigkeit führen; daß er das Wechselspiel der komplexen Beziehungen von Tiefe und Oberfläche erfaßt hat, Daß er ebenso die sehr subtilen und genauso komplexen Mechanismen der Verbindung von Bild und Ton begriffen hat, ferner die von Gleichzeitigkeit und Aufeinanderfolgen, von Raum und Zeit, die sich voneinander abkoppeln und so reichere, leichtere Formen gebären. Diese Formen stützen sich jedoch gleichzeitig auf die Schwere Ihrer ursprünglichen "Partition" - auf die andersartigen Entkopplungen und Einfassungen von Bildern und Worten, Bildern und Tönen, von Bildern, und Bildern innerhalb anderer Bilder, die unterschiedliche Bedeutungsebenen haben. Der Künstler steht In der Schuld des Feuerwerks der Wissenschaft und Technik, in der Schuld der Musiker, Philosophen und Maler und ihrer sehr, sehr langen Arbeit (ob es sich nun um den Goldenen Schnitt, den Space Shuttle, die Vokale Rimbauds oder die fliegenden Teppiche aus Tausendundeiner Nacht handelt) - jener, die seit Jahrhunderten unaufhörlich versuchen, sich von der Last der Dinge, ihrer sichtbaren Unordnung und Ihrer komplexen Ordnung zu befreien, um ein neues, Immer anderes Bild zu schaffen. Dieses Bild versucht immer, sich der unendlichen Schwere und Monotonie der Dinge zu entziehen und eben die Langeweile der Differenzierung zu öffnen, die uns mittels der Kunst den Ausweg aus Ihr weist. Um sich jedoch von der Langeweile und Schwere zu befreien, bedurfte es noch jener sich Immer wiederholenden monotonen Instrumente: der Maschinen.

Was uns nun an Werken der Videokunst manchmal enttäuscht, ist der Verlust Ihres Gedächtnisses für Ihre Gründe, für die Geschichte, für die Schwere, die ihnen vorausging und allein der Leichtigkeit ihren Sinn gab: Langweilig, konfus sind die Werke, welche die Leichtigkeit wie Im Voraus vorgeben, als Tatsache und nicht als langsame, geduldige Eroberung. Sie sind von der Art, In welcher man das Gewicht der "göttlichen Ungeschicklichkeit" (wie Artaud es ausdrückte) und der geduldigen Arbeiten nicht mehr spürt.

Die großen "Brüche", zum Beispiel Duchamp, haben nur eine exakte und deshalb relative Größe in Bezug auf die vorangehenden Zeitabschnitte: In einem Urmaß liegt Immer ein weiteres Urmaß, das es einem Zeitabschnitt zuweist und Im Verhältnis zu diesem Bruch-stück der Zelt vielfältige, mehr-dimensionale, selbst umkehrbare Formen annimmt. Ein perfekter Zustand tritt da ein, wo beide Maße genau übereinstimmen.

Videobilder beruhen auf den komplexesten und raffiniertesten Wissenschaften und Technologien, auf den Ergebnissen schwerster und ernsthaftester Arbeit, auf den weisesten Berechnungen, auf den am schwersten zu konstruierenden und zu (er)tragenden Visionen von Raum und Zeit, die der Mensch je entwickelt hat. In Anbetracht dieses Umstandes entsteht bei bestimmten Werken der Eindruck, daß die Verbindung abgerissen ist, daß der Kontakt mit dem "Background", dieser schweren und oft unglückseligen Geschichte, die ihnen vorausging, unterbrochen ist, und sich in den numerischen Schaltpulten und Computern vergräbt. Es ist wahr, daß jede Techno-Io- gie auf immer weitergehende Miniaturisierung hin konzipiert ist, einer Verwendungsform zustrebt, die das Attribut "soft" verdient, Daß sich die Maschinen von nun an verstecken, nicht mehr wie zu Zeiten der ersten industriellen Revolution ihre Eingeweide ausbreiten (die Besichtigung eines mit Robotern besetzten Fließbandes in einem Automobilwerk dürfte für Nachfolger Casars und Tinguelys immer noch recht anregend sein - so es denn Nachfolger gibt), müßte die Künstler beunruhigen und ihnen gleichzeitig das Gefühl der Bestätigung geben. Die schlechten Arbeiten, über die ich spreche, sind eben die, welche die "Beunruhigung" vermissen lassen, das heißt, sie sprechen die gemeine Sprache nicht, führen keinen widersprüchlichen Dialog mit ihren technischen Grundlagen und begnügen sich mit den durch sie möglichen technischen und visuellen Effekten, ohne je etwas sichtbar zu machen, ohne den philo- und heterogenetischen Prozeß zu hinterfragen, der sie ermöglicht und befehligt.

Wenn es keine Öffnung in die skizzierte Richtung geben wird, auch wenn man weiß, daß sie hier und da bereits mit Erfolg geschieht und an Bedeutung gewinnen wird, ist zu fürchten, daß die Leichtigkeit einiger Werke der Videokunst (es gibt trotzdem schon viele von ih nen) nichts mehr mit jener Leichtigkeit zu tun hat, das Gewicht der Erde nicht gemeinsam tragen und kein Geheimnis teilen werden, die Calvino sich als einen der Werte wünscht, die den Sprung ins dritte Jahrtausend überstehen mögen.

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